O. B.

Die Arbeiterbibliothek

Geschichte der Klassenkämpfe

(Jänner 1908)


Der Kampf, Jahrgang 1 4. Heft, 1. Jänner 1908, S. 191–192.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Wer die kapitalistische Gesellschaft verstehen will, muss zunächst wenigstens im Umriss die Geschichte ihres Werdens kennen. Wir wollen daher unseren Lesern einige gute und volkstümliche Darstellungen der Entwicklung der Volkswirtschaft und der Klassenkämpfe empfehlen, ehe wir darangehen, die populäre Literatur über Probleme unserer Zeit zu besprechen.

Man beginnt das Studium am zweckmässigsten mit Engels’ Schrift über den Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates (Preis K 1,80). Obwohl diese berühmte Schrift in manchen Einzelheiten veraltet ist, obwohl wir heute wissen, dass insbesondere die Entwicklung der Familie nicht so geradlinig, nicht bei allen Völkern so gleichartig verlaufen ist, wie die Wissenschaft dies in der Entstehungszeit dieses Buches annahm, so bleibt sie doch die weitaus beste Einführung in die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft. Als eine Ergänzung kann die kurze Abhandlung über Die Mark angesehen werden, die Engels im Anhang zu seiner Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft veröffentlicht hat. Ueber Wirtschaftsverfassung und Klassenkämpfe des Mittelalters finden wir sehr viel Wertvolles in dem von Karl Kautsky herausgegebenen Sammelwerke Die Vorläufer des Sozialismus. Für die wichtige Uebergangsperiode vom Mittelalter zur Neuzeit ist zur Ergänzung auch Kautskys Thomas More und seine Utopie (Preis 3 K) heranzuziehen.

In die Periode des Frühkapitalismus und modernen Absolutismus führen uns Kampffmeyers Geschichte der modernen Gesellschaftsklassen in Deutschland (Preis K 1,80) und Mehrings Lessing-Legende (Preis K 3,60). Ueber die grosse Umwälzung, die die französische Revolution den europäischen Völkern gebracht, unterrichten uns Blos, Die französische Revolution 1789 (Preis K 4,80); Kautsky, Die Klassengegensätze von 1789. Die grossen Kämpfe des neunzehnten Jahrhunderts werden uns in den folgenden Schriften trefflich dargestellt: Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie; Blos, Die deutsche Revolution (Preis K 4,80); Heritier, Geschichte der französischen Revolution von 1848 (Preis K 4,80); Bach, Geschichte der Wiener Revolution (Preis K 7,20); Lissagaray, Geschichte der Kommune von 1871 (Preis K 3,60); Webb, Geschichte des britischen Trade Unionismus (Preis K 4,80). Wir schliessen das Studium der historischen Literatur des Sozialismus mit den berühmten historischen Streitschriften Karl Marx’: Revolution und Kontrerevolution in Deutschland (Preis K 2,40), Die Klassenkämpfe in Frankreich (Preis K 1,20), Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte (Preis K 1,20).

Die wertvolle bürgerliche Literatur über Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ist den Arbeitern nicht zugänglich, da sie in umfangreichen Werken niedergelegt ist, deren Lektüre geschichtliche und juristische Vorkenntnisse voraussetzt. In jüngster Zeit haben aber einige grosse Verlagsbuchhandlungen Sammlungen populär-wissenschaftlicher Schriften herausgegeben; in einigen dieser billigen und verhältnismässig leicht lesbaren Büchlein sind die wertvollsten Ergebnisse der neueren historischen Forschung kurz zusammengefasst. So können wir unseren Lesern beispielsweise folgende Schriften empfehlen: Aus der von Teubner in Leipzig herausgegebenen Sammlung Aus Natur und Geisteswelt (Preis jedes Bändchens K 1,50): Steinhausen, Germanische Kultur in der Urzeit; Heil, Die deutschen Städte und Burgen im Mittelalter; Otto, Das deutsche Handwerk in seiner kulturgeschichtlichen Entwicklung; Pohle, Die Entwicklung des deutschen Wirtschaftslebens im 19. Jahrhundert; G. Maier, Soziale Bewegungen und Theorien bis zur modernen Arbeiterbewegung; aus der Sammlung Göschen (Preis des Bändchens 96 h): Tönnies, Die Entwicklung der sozialen Frage. Einige dieser Schriften enthalten auch gute Literaturangaben.

Wir raten dem Leser, zuerst die von uns an erster Stelle genannten historischen Schriften aus unserer Parteiliteratur und dann erst die von bürgerlichen Gelehrten verfassten Bändchen zu lesen. Diese Reihenfolge empfehlen wir nicht nur darum, weil unsere Parteischriften sich einer leichter verständlichen Darstellungsweise befleissen, sondern auch deshalb, weil die wahllose und ungeordnete Lektüre von Schriften, die die Entwicklung der Gesellschaft unter ganz verschiedenen Gesichtswinkeln sehen, den noch ungeschulten Leser leicht verwirren und an der Möglichkeit eines bestimmten und eindeutigen Urteils verzweifeln lassen könnte. Liest man zuerst die historische Literatur des Sozialismus in einem Zuge, so sieht man die Entwicklung der Volkswirtschaft in grossen Zügen klar und wohlgegliedert vor sich ausgebreitet. Studiert man sodann wiederum der Reihe nach die von uns genannten Darstellungen aus dem bürgerlichen Lager, dann lernt man auch den dem unseren entgegengesetzten Standpunkt kennen. Die Gegensätzlichkeit der Urteile wird den Leser dann nicht mehr verwirren, vielmehr wird er nun selbst zwischen den beiden grossen Richtlinien der Geschichtsbetrachtung zu wählen vermögen.

Die bürgerlichen Darstellungen der österreichischen Wirtschaftsgeschichte sind zu schwer geschrieben und zu sehr in Monographien zersplittert, als dass wir sie unseren Lesern empfehlen könnten; auch die beste Darstellung eines Teiles der österreichischen Agrargeschichte, Grünbergs Die Bauernbefreiung und die Auflösung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses in Böhmen, Mähren und Schlesien, setzt grössere juristische Vorkenntnisse voraus. So können wir dem Leser zur Ergänzung von Bachs schon erwähnter Geschichte der Wiener Revolution nur E. V. Zenkers Die Wiener Revolution 1848 in ihren sozialen Voraussetzungen und Beziehungen empfehlen.

 


Leztztes Update: 6. April 2024