MIA > Deutsch > Bebel > Aus meinem Leben, 3. Teil
Während der zwölfjährigen Dauer des Sozialistengesetzes war ich – ich darf das ohne Übertreibung sagen – der in Deutschland polizeilich am meisten verfolgte Mensch. Die Polizei hatte die vorgefaßte Meinung, ich sei ein gefährlicher Mensch, den man nicht aus den Augen lassen dürfe. Und Herr v. Puttkamer, der vom Frühjahr 1881 ab bis in die letzten Regierungstage Kaiser Friedrichs im Jahre 1888 preußischer Minister des Innern war, bestätigte diese Ansicht, indem er mich gelegentlich einer Sozialistendebatte im Reichstag im Jahre 1886 den „Allergefährlichsten“ nannte. Daß ich mich unter dieser polizeilichen Schutzwache wohl gefühlt, wird man nicht annehmen. Im Gegenteil, mein Haß gegen diese Staatsretterei steigerte sich von Jahr zu Jahr, und da die zahllosen Gemeinheiten und Gewissenlosigkeiten, die die Polizei an zahlreichen Parteigenossen und auch an mir verübte, sich berghoch anhäuften, wuchs auch meine Verachtung gegen sie. Ich kam allmählich in eine Stimmung, wonach es mein sehnlichster Wunsch war, es möchte zu einer inneren Katastrophe kommen, die uns in die Lage setzte, Vergeltung zu üben für all die Frevel, die man von jener Seite sich gegen uns hatte zuschulden kommen lassen. Noch heute steigt mir das Blut zu Kopfe, gedenke ich jener Zeiten. Daß ich, wenn ich in Berlin zum Reichstag war, auf Schritt und Tritt überwacht wurde, das passierte auch meinen sozialdemokratischen Kollegen. Aber daß man den Telegraphen hinter mir in Bewegung setzte und von einer Stadt zur anderen telegraphierte, daß und wann ich ankommen würde, passierte nur mir. Das geschah meist in der Weise, daß der Polizist, der mich zu überwachen hatte, sobald ich auf dem Bahnhof eine Fahrkarte löste, hinter mir an den Schalter trat und sich erkundigte, wohin ich die Fahrkarte genommen. Und nicht bloß wegen sogenannter Agitationsreisen wurde ich verfolgt, sondern auch auf meinen geschäftlichen Reisen wurde derselbe Unfug verübt. Ich hatte schließlich eine solche Übung in der Entdeckung dieser „Geheimen“ unter einem Haufen anderer Menschen erlangt, daß, wenn der Zug in eine Station einfuhr und ich den Kopf zum Fenster herausstreckte, ich auch rasch das Polizeigesicht entdeckte, daß meine Überwachung übernehmen werde. Bei dieser Art der Verfolgung entwickelte sich ein stiller Krieg zwischen mir und meinen Verfolgern. Da ich selbstverständlich das Bedürfnis empfand, namentlich an den Abenden in den Kreisen meiner Genossen zu verkehren und mit diesen Gedanken auszutauschen, die für Polizeiohren nicht bestimmt waren, so bot ich alles auf, den mir folgenden „Staatsretter“ zu „versetzen“, wie bei uns der Kunstausdruck lautete, das heißt, ich bot alles auf, um im Gewirr der Straßen und Häuser meinem Verfolger zu entrinnen, was mir mit Hilfe meiner flinken Beine und der Mithilfe der Genossen fast ausnahmslos gelang. Mancher ruhige Bürger sah mir etwas erstaunt nach, wenn mein rascher Schritt allmählich in einen gelinden Trab sich verwandelte und eine Strecke hinter mir keuchend und schweißtriefend ein Individuum sich zeigte, über dessen Charakter er nicht im klaren war. Als dann die Rundreisehefte eingeführt wurden, änderte sich die Art der Eisenbahnverfolgung. Ich benützte ein solches Rundreiseheft zum ersten Male im Frühjahr 1885. Ich reiste von Dresden durch Sachsen, Bayern, Württemberg und die Schweiz. Auf deutschem Boden verfolgt wie ehedem. Als ich von Basel aus ins Badische nach Freiburg kam, fiel mir auf, daß mein Polizeipudel bereits vor dem Hotel stand, in dem ich zu wohnen pflegte, und mich erwartete. In Karlsruhe wiederholte sich derselbe Vorgang. Ich fragte nunmehr den Kellner, woher die Polizei wisse, daß ich kommen werde. Er zuckte die Achsel und meinte, der Beamte stehe schon seit drei Tagen vor dem Hotel und erwarte mich. Der Vorgang wurde mir immer rätselhafter. Unter dem gleichen Überwachungssystem kam ich endlich nach Mainz. Dort stand, als ich an meinem Hotel ankam, der Oberkellner vor der Türe und rief mir, als er mich erblickte, entgegen: „Endlich kommen Sie, Herr Bebel, wir erwarteten Sie schon seit acht Tagen.“ Und als ich verwundert fragte: „Ja, wieso denn?“ antwortete er: „Ihr Tugendwächter hat schon seit acht Tagen bei uns angefragt, wann Sie kommen würden. Eben hat er sich gedrückt, als er Sie kommen sah.“
Das war mir doch zu toll. Nächsten Vormittag besuchte ich meinen Parteigenossen, der Stadtverordneter war, um, da die Polizei in Mainz unter städtischer Verwaltung stand, vielleicht von ihm erfahren zu können, woher diese Überwachungsmethode rührte. Ich blieb auch nicht lange in Ungewißheit. Es stellte sich heraus, daß die Dresdener Bahnhofverwaltung der Dresdener Polizei Mitteilung von meiner Bestellung eines Rundreiseheftes gemacht und ihr in Abschrift die Coupons überliefert hatte. Die Dresdener Polizeiverwaltung, damals in bezug auf uns eine der verfolgungssüchtigsten im ganzen Reich, hatte darauf sofort den Polizeiverwaltungen der betreffenden Orte mein Kommen gemeldet. Da aber die Polizei nicht wissen konnte, wieviel Zeit ich an den einzelnen Orten verbrauchte, war in ihrer Berechnung bis nach Mainz eine Differenz von acht Tagen entstanden.
In jenen Jahren stand jedoch nicht nur die Bahnverwaltung in intimen Beziehungen zur Polizei, sondern auch die Post. Daß Briefe und Pakete, die an bekannte Sozialdemokraten kamen, vor ihrer Ablieferung der Polizeibehörde mitgeteilt wurden, so daß diese hinter der Ablieferung der Gegenstände sofort in die Wohnung eintrat und die Beschlagnahme ausführte, kam in Tausenden von Fällen vor. Der Staatssekretär der Reichspost, Dr. Stephan, hatte einmal in den siebziger Jahren auf eine Beschwerde Liebknechts im Reichstag, daß ihm Briefe erbrochen worden seien, geantwortet: „Das Briefgeheimnis ist im Deutschen Reiche so sicher wie die Bibel auf dem Altar“, ein Ausspruch, der schon damals bei uns nur Ungläubige fand, unter dem Sozialistengesetz aber uns reichlich zur Glossierung Veranlassung gab. Bei mir kam die Verbindung der Post mit der Polizei auch noch in anderer Form zutage.
Es ist bei Fabrikanten und Kaufleuten Geschäftsgebrauch, daß, wenn sie ihre Vertreter auf die Reise senden, um von ihren Kunden Bestellungen entgegenzunehmen, sie kurze Zeit vor dem Eintreffen ihres Vertreters an einem Orte dorthin gedruckte Anzeigen von dessen bevorstehender Ankunft senden. Das war auch in unserem Geschäft üblich. Eines Tages erfuhr ich in Mainz, daß bereits seit mehreren Tagen zwei Geheimpolizisten auf dem Bahnhof in Wiesbaden bereitstünden, um nach meiner Ankunft den Überwachungsdienst zu übernehmen. Und zwar habe die Polizei meine bevorstehende Ankunft auf Grund der bei der Post eingegangenen Geschäftsanzeigen erfahren. Mein Entschluß, sie gründlich zu foppen, war rasch gefaßt. Nächsten Morgen fuhr ich mit zwei befreundeten Parteigenossen bis auf die letzte Station vor Wiesbaden, dort stiegen wir aus und kamen auf einem Wege, den die Polizei nicht ahnte, nach der Stadt, woselbst ich meine Geschäftsgänge erledigte und auch noch eine Besprechung mit meinen Parteigenossen hatte. Als ich abends in Gesellschaft einer ganzen Anzahl von Genossen auf dem Wiesbadener Bahnhof erschien, um nach Mainz zurückzufahren, standen die beiden Polizisten noch dort und machten zu unserem größten Vergnügen sehr erstaunte Gesichter, als sie mich sahen.
Überhaupt wurde es unter dem Sozialistengesetz bei den Parteigenossen geradezu Sport, die Polizei zum besten zu halten und irrezuführen. Und jeder gelungene Streich wurde weidlich belacht und stachelte zu neuen Versuchen an. Kamen wir zusammen und hatten wir unsere Parteiangelegenheiten erledigt, dann kam auch der Humor zu seinem Recht, und einen großen Teil des Unterhaltungsstoffes bildeten Erzählungen über die Nasführungen der Polizei. Diese hatte überhaupt das, was sie entdeckte und erfuhr, in den seltensten Fällen ihrem eigenen Witz und Geschick zu danken, sondern dem Leichtsinn oder der Schwatzsucht dieses oder jenes Genossen. Abgesehen von Verrätereien durch Genossen, die den Geldangeboten der Polizei nicht zu widerstehen vermochten oder auch von der Polizei zu Verräterdiensten gezwungen wurden, weil diese über sie Dinge erfahren hatte, die, wenn sie zur Anzeige gebracht wurden, die Betreffenden dem Gefängnis überlieferten. Solche Zwangsfälle kamen wiederholt vor. Die polizeilichen Stützen des christlichen Staates ließen gern ein Vergehen ungesühnt, wenn sie dafür einen politischen Verrat eintauschen konnten.
Ich hatte die Gewohnheit, mich in den meisten Hotels unter falschem Namen einzutragen, was selbstverständlich die Polizei sehr bald erfuhr, aber ungerochen geschehen ließ. Ich tat dies einmal, weil bei der feindseligen Haltung in den bürgerlichen Kreisen mich mancher Hotelier nicht in Quartier genommen hätte, wenn er gewußt hätte, wer ich war. Dann aber auch wollte ich der Gafferei und Neugierde der übrigen Gäste nicht ausgesetzt sein. Da ich unter dem Sozialistengesetz einen Vollbart trug im Gegensatz zu früher, wo ich Schnurr- und Spitzbart zu tragen pflegte, so war mein Äußeres nicht vielen bekannt. Freilich erfuhren die Hoteliers und ihr Personal sehr bald, wer ich wirklich war, aber sie ließen mich ungeschoren, und in der Regel sympathisierte das Personal mit mir. Längere Zeit machte ich den Fehler, mich in der einen Gegend unter dem Namen meines Associés, in einer anderen unter dem Namen Kaufmann August Friedrich einzutragen. Aber da geschah es einmal, daß ich mich an einem Orte unter dem Namen Friedrich eintrug, an dem ich mich das vorhergehende Mal unter dem Namen meines Associés eingetragen hatte. Das war fatal, und so blieb ich von jetzt ab bei dem Namen Friedrich.
Das führte eines Tages zu einem amüsanten Vorkommnis in Freiburg in Baden. Ich verließ am Morgen das Hotel, um meinen Geschäften nachzugehen. Vor der Tür treffe ich den Briefträger, den ich frage, ob er für Kaufmann Friedrich aus Leipzig einen Brief habe. „Jawohl, sogar einen Einschreibebrief!“ war die Antwort. Ich quittierte den Empfang und entfernte mich. Fünf Monate später war ich wieder in Freiburg, und wieder begegnete mir zufällig vor der Tür derselbe Briefträger, den ich abermals fragte, ob er einen Brief für Kaufmann Friedrich habe. Sobald ich diesen Namen nannte, warf er den Kopf in die Höhe, sah mich scharf an und sagte: „Sie sind gar nicht Herr Friedrich, Sie sind Herr Bebel!“ „So, woher wissen Sie denn das?“ „Na, Sie haben mich dieses Frühjahr in schöne Verlegenheit gebracht. Sie erinnern sich, ich übergab Ihnen damals einen Einschreibebrief, und als ich nach Hause kam und meine Scheine durchsah, entdeckte ich zu meinem Schreck, daß Ihr Schein statt der Unterschrift Friedrich den Namen Bebel trug. Ich eilte ins Hotel zum Oberkellner und klagte ihm mein Leid. Der Oberkellner lachte und bemerkte, Bebel und Friedrich seien ein und dieselbe Person.“ Zum Glück habe sein Vorgesetzter, dem er die Scheine habe übergeben müssen, diese nur durchgezählt, aber nicht die Unterschriften angesehen, so sei er mit einem blauen Auge davongekommen.
Das Vorkommnis amüsierte mich, aber ich nahm mir doch vor, künftig vorsichtiger zu sein.
Die polizeiliche Überwachung meiner Person nahm in jenen Jahren öfter einen häßlichen und aufreizenden Charakter an, namentlich in einer Reihe Städte Mittel- und Süddeutschlands. In Norddeutschland war man in der Überwachung – ich möchte sagen diskreter. Die Polizei benahm sich unauffälliger und folgte mir mehr aus der Ferne, aber in einer Anzahl mittel-und süddeutscher Städte war sie plump und dreist und selbst vom Polizeistandpunkt aus betrachtet dumm. Hier folgte mir in der Regel der Polizist in Zivil, wenn ich mit meinem Musterkoffer durch die Straßen ging, in kurzer Entfernung und wartete in der unmittelbaren Nähe des Hauses, in das ich getreten war, bis ich dasselbe verließ, um dann wieder wie ein getreuer Pudel mir zu folgen. Als mir zum ersten Male im Frühjahr 1879 in Nürnberg eine solche Überwachung zuteil wurde, verbreitete sich die Nachricht davon wie ein Lauffeuer unter den Parteigenossen. Am Abend gab es eine große Ansammlung vor der Polizeiwache, und es wurden Schimpfworte gegen die Polizei geschleudert, wie sie nur dem Zaun der Zähne eines Bayern entfliehen können. Ruhiger denkende Genossen hatten Mühe, die Ansammlung zu zerstreuen und einen Konflikt zu verhüten.
Hier in Nürnberg war jahrelang der mich überwachende Geheimpolizist ein gewisser Marsching, der von früh bis spät meinen Spuren folgte. Eines Abends war ich ihm wieder wie gewöhnlich entwischt. Gegen Mitternacht gingen ich und ein Freund, bei dem ich wohnte – ich zog begreiflicherweise damals die Privatwohnung der Hotelwohnung vor –, nach Hause. Mein Freund wohnte in Glaishammer, einem Vorort von Nürnberg, jenseits der Bahn. Es war eine wundervolle Mondnacht. Wir gingen über eine Wiese, als ich unerwartet Herrn Marsching auf der Straße, auf die wir eben stießen, an einer Pappel stehen sah. Er wollte offenbar wenigstens wissen, wann wir nach Hause gekommen seien. Ich machte meinen Freund auf Marsching aufmerksam. Sobald dieser den Marsching erblickte, ging er im Eilschritt auf ihn los. Es herrschte in der Gegend Totenstille, weit und breit war niemand zu sehen. Jetzt mochte sich Marsching sagen, zwei gegen einen ist eine unangenehme Sache. Er machte also rasch kehrt und eilte die Straße entlang. Mein Freund nun im Galopp hinter ihm drein, beide in einem Sträßlein verschwindend, das sich zwischen Gärten schlängelte. Plötzlich erdröhnte ein Schuß. Mir fuhr der Schreck in die Glieder, ich nahm an, der Polizist habe auf meinen Freund geschossen. Nun eilte ich den beiden nach. Als ich eben in das Sträßlein einbiege, kommt mir mein Freund laut lachend entgegen. „Wer hat denn geschossen?“ fragte ich. „Ich habe geschossen, der Kerl ist aber gesprungen“, antwortete er. „Ja bist du denn verrückt, wenn Marsching dich anzeigt, muß ich gegen dich zeugen.“ „Ich habe ja nur in die Luft geschossen“, antwortete er begütigend. Merkwürdigerweise hörten wir von dem Vorgang nichts mehr. Marsching mochte es für klüger gehalten haben, zu schweigen. Später trat er aus der Polizei aus und begann einen Milchhandel. Mir wurde versichert, er sei sogar der Partei beigetreten.
Im Jahre 1882 wurde ich wider Willen die Ursache, daß dem Fürther Magistrat von der Regierung ein wichtiges Recht entzogen wurde. Der Magistrat, der überwiegend aus bürgerlichen Demokraten und ein paar Sozialdemokraten bestand, hatte zugelassen, daß ich in einer riesenhaft besuchten Volksversammlung sprach. Darüber ergrimmte die bayerische Regierung und entzog dem Magistrat das Recht der Handhabung des Vereins- und Versammlungsrechts, das der mittelfränkischen Kreisregierung übertragen wurde. Als endlich im Jahre 1902 – also nach 20 Jahren – der Parteigenosse Segitz die bayerische Regierung im Landtag interpellierte, wie lange sie denn noch diese Rechtlosmachung des Fürther Magistrats aufrechtzuerhalten gedenke, antwortete der damalige Minister v. Feilitzsch: Solange noch in der Fürther Gemeindevertretung Sozialdemokraten säßen. Man besann sich aber doch bald eines Besseren und gab dem Fürther Magistrat sein Recht zurück. Und einen Minister, der mit solch lächerlich kleinlichen Mitteln regiert, nennt man bekanntlich in Deutschland einen Staatsmann.
Von Nürnberg-Fürth reiste ich in der Regel nach München, wo ich ebenfalls meist drei bis vier Tage verblieb. Meine Anwesenheit wurde den Parteigenossen sofort bekannt, und dann gab es an dem Sonntag, den ich dort zubrachte, regelmäßig eine große Demonstration auf einem der Bierkeller. Die Parteigenossen zogen alsdann in Scharen hinaus und demonstrierten durch Hochrufe und Gesänge. Den Parteigenossen folgte auf dem Fuße in Stärke von einem Dutzend Mann die hochwohllöbliche Gendarmerie unter der Führung des Polizeikommissars Michel Gehret oder seines Adlatus Auer. Das Sonntagsvergnügen fand stets damit seinen Abschluß, daß ich wieder einmal den Versuch machte, der Polizei zu entrinnen. Ich sehe noch im Geiste, wie am einem solchen Abend der lange Maximus Ernst die Rockschöße in die Hände nahm und mit seinen langen Beinen durch das Gassengewirr in der Nähe des Hofbräuhauses stürmte, wobei ich vor Lachen über die komische Figur, die er spielte, ihm kaum zu folgen vermochte.
Im Württembergischen ging es etwas gemütlicher zu, obgleich auch dort die Polizei oftmals unseren Genossen das Leben schwer machte. Als einmal die Stuttgarter Genossen zu einer Märzfeier versammelt waren, erschien ein Polizeibeamter und erklärte: Eine Festrede dürfe nicht gehalten werden. Alles Parlamentieren half nichts, es blieb bei dem Verbot. Darauf fragte ihn der Festleiter, ob denn deklamiert werden dürfe, worauf der Beamte im Vollgefühl seiner Würde die klassische Antwort erteilte: „Deklamiere dürfe Se, schwätze aber net!“ Und nun erfolgte an Stelle einer Festrede, die wahrscheinlich ziemlich zahm ausgefallen wäre, die Deklamierung der revolutionärsten Gedichte von Freiligrath und anderen. Der Staat war wieder einmal gerettet.
Ein anderer Vorgang verlief also: Eines Abends wurde ich in Stuttgart von drei Eßlinger Genossen angegangen, sofort mit ihnen nach Eßlingen zu kommen und dort in einer Versammlung Sonnemann entgegenzutreten. Ich weigerte mich. Einmal war ich müde, dann liebte ich es nicht, auf der Geschäftsreise in öffentlichen Versammlungen Reden zu halten, weil ich meinen Kunden, die fast ausnahmslos politische Gegner von mir waren, nicht noch sozusagen im eigenen Hause vor den Kopf stoßen wollte. Schließlich gab ich widerwillig dem Drängen nach. Als wir in das Versammlungslokal traten, war es überfüllt. Wir mußten uns an der Tür aufstellen. Sonnemann sprach auffallend schlecht, er war offenbar sehr indisponiert. Karl Mayer, von dem man sich scherzweise in Berlin erzählte, er verzehre jeden Morgen wenigstens einen Preußen zum Frühstück, präsidierte. Als Sonnemann geendet, forderte Mayer zur Wortmeldung auf. Ich meldete mich. Als Mayer und die Versammlung meinen Namen hörten, entstand eine Bewegung, als wäre eine Bombe zum Dache hereingeflogen. Darauf erklärte Mayer, indem er mich unter einem Schwall von Worten als „tapferen Volksmann“ begrüßte, daß er zu seinem Bedauern das Präsidium niederlegen müsse, da ich einer Partei angehöre, die ausnahmegesetzlich verfolgt werde. Das war mir noch nicht vorgekommen und obendrein nicht von einem Demokraten. Kurz entschlossen ergriff ich die Glocke und erklärte der Versammlung: Glücklicherweise seien wir in Württemberg, wo nach dem Landesgesetz eine polizeiliche Anmeldung einer Versammlung nicht erforderlich sei. Ich wolle das Präsidium übernehmen, falls niemand etwas dagegen habe. Die Versammlung schwieg. Ich mußte zu diesem eigenartigen Vorgehen schreiten, weil ich nicht wußte, wen von meinen Eßlinger Genossen ich zum Vorsitzenden vorschlagen sollte. Dar aufgab ich mir selbst das Wort. Sehr bald merkte ich aber, weshalb Sonnemann so schlecht gesprochen hatte. Nach zehn Minuten erging es mir wie ihm. Die dichte Menschenmenge und die sommerliche Temperatur erzeugten eine enorme Hitze. Und da der Saal allem Anschein nach kurz zuvor mit Kalkfarbe gestrichen worden war, fingen die Decke und die Wände an zu schwitzen und lösten sich zahllose Kalkpartikelchen in der Luft auf, die sich auf die Schleimhäute legten und das Sprechen außerordentlich erschwerten. Mir wurde sehr unbehaglich zumute. Da unterbrach mich eine Stimme von der Tür her. Ich verstand den Sprecher nicht und fragte, was er wolle; darauf bekam ich die Antwort: „Im Namen des Gesetzes, die Versammlung ist aufgelöst!“ Niemand war glücklicher als ich. Die Stimme gehörte einem Polizisten, der als Zuhörer gekommen war, aber von den in seiner Nähe stehenden nationalliberalen Stadtgrößen so lange bearbeitet wurde, bis er die Versammlung für aufgelöst erklärte. Damit war aber auch der Erfolg der Versammlung gesichert, denn die meisten Anwesenden ärgerte es, daß sie in solcher Weise nach Hause geschickt wurden. Überhaupt war in jenen Jahren unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes keiner von uns betrübt, wenn plötzlich mitten in der Rede der überwachende Polizeibeamte die Versammlung für aufgelöst erklärte. Das löste stets demonstrativen Beifall für den Redner aus, und der Erfolg war der beste; obendrein schonte der Redner seine Lunge
Am Tage nach jener Eßlinger Versammlung reiste ich nach Tübingen, wo ein guter Bekannter von mir – ein linksstehender Volksparteiler – mich an der Bahn abholte. Ich erzählte ihm den Eßlinger Vorgang, zu dem er den Kopf schüttelte. Zur Mittagszeit gingen wir zusammen nach dem Ratskeller und setzten uns an einen Tisch, an dem schon ein Herr Platz genommen hatte, den mir mein Bekannter als den Polizeikommissar der Stadt Tübingen vorstellte. Diesem erzählte er sofort das Eßlinger Vorkommnis. Der Kommissar lachte und meinte alsdann zu mir: „Wissen Sie was, Herr Bebel, halten Sie heute abend hier eine Versammlung, ich gebe Ihnen mein Wort, ich löse sie nicht auf.“ Ich gab lachend zur Antwort: Ich bedauere, seiner freundlichen Einladung, die mir bisher von Polizeiseite noch niemals zuteil geworden sei, nicht folgen zu können, aber ich müßte mit dem Nachmittagszug nach Zürich reisen, woselbst ich erwartet würde.
Anders im Badischen. Dort hatte die Polizei schon zu jener Zeit preußische Manieren angenommen. In Freiburg war meine Überwachung besonders streng. Ich pflegte im „Römischen Kaiser“ zu wohnen. Der Wirt des Hotels, ein Herr Springer, war selbstverständlich ein politischer Gegner von mir, aber ein an ständiger Mann. Ihn ärgerte es, daß schon am frühen Morgen die Polizei sowohl am Vorder- wie am Hinterausgang des Hotels Posto faßte, um auf meine Entfernung zu warten. Und als gar die Herren Polizisten immer dreister wurden und einmal in Haus und Hof traten, wies er sie energisch zum Tor hinaus. Ich beschwerte mich eines Tages über die unverschämte Art der Überwachung bei dem Polizeichef Amtmann Wiener, aber der Herr nahm meine Beschwerde sehr ungnädig auf. Ein so gefährlicher Mann wie ich dürfe sich nicht beklagen, wenn die Polizei ihn überwache. Ich erklärte, ich würde diese Überwachungsmethode nächstens im Reichstag zur Sprache bringen. Antwort: Das sei ihm gleich, er tue, was er für notwendig halte. Ich glaube, der Herr wäre froh gewesen, hätte ich ihn im Reichstag angegriffen. Der damalige Großherzog war ein grimmiger Feind von uns, und ein Beamter, den ich wegen schneidigen Vorgehens gegen uns anklagte, wäre bei ihm gut angeschrieben worden und hatte Aussicht auf rasches Avancement. Polemisierte doch der Großherzog noch in den neunziger Jahren bei Kriegervereinsfesten wiederholt gegen mich – ohne meinen Namen zu nennen – wegen Festreden, von denen ich die eine auf dem Hohentwiel bei Singen, die andere das folgende Jahr in Villingen auf dem Schwarzwald gehalten hatte.
Auch in Karlsruhe ließ die Überwachung nichts zu wünschen übrig. Ich entrann wiederholt meinen Beaufsichtigten dadurch, daß ich mich in eine alleinstehende Droschke warf und in vollem Galopp davonfuhr. Eines Sonntags war auch Paul Singer mit von der Partie, als wir uns in Karlsruhe trafen.
Einen besonders unangenehmen Begleiter hatte ich während mehrerer Jahre in Frankfurt am Main. Der Mensch marschierte kaum einen Meter hinter mir. Blieb ich stehen, um mir ein interessantes Gebäude oder einen Baum anzusehen, sofort nahm er die gleiche Haltung an. Einmal aber „versetzte“ ich ihn bei hellem Tage. Ich fuhr eines Mittags mit der Lokalbahn nach Offenbach. Er hinter mir drein, setzte sich in dasselbe Wagenabteil, in dem ich fuhr. In Offenbach hatte ich meine Geschäfte rasch erledigt. Ich besuchte nunmehr unseren Parteifreund Ulrich, der an der Stadtgrenze im Hofe eines Hauses eine kleine Druckerei besaß. Diesen fragte ich, ob ich dem Verfolger, der vor dem Hause stehe, nicht entrinnen könne, wenn ich statt der Lokalbahn einen Zug der Main-Weser-Bahn, wie damals die Linie Kassel-Frankfurt genannt wurde, benutzte. Dies bejahte Ulrich, in kurzer Zeit gehe ein solcher, ich brauchte nur über seine Hofplanke zu steigen und querfeldein einen Fußsteig zu benützen, der direkt zum Main-Weser-Bahnhof führe. Mit Hilfe Ulrichs stieg ich über die Planke, alsdann reichte er mir meinen Musterkoffer, und kurz vor Eintreffen des Zuges war ich auf dem Bahnhof. In Frankfurt angekommen, eilte ich nach meiner Wohnung in der „Stadt Darmstadt“, einem kleinen Hotel in unmittelbarer Nähe des Doms, in dem 1848 die radikale Linke des Parlaments ihr Kneiplokal besessen. Ich gab meinen Musterkoffer ab und entfernte mich. Als ich abends nach elf Uhr in die Gaststube trat, empfing mich ein Ausbruch der Heiterkeit des Wirts und der Gäste. Man erzählte mir, daß, nachdem ich am Abend das Hotel verlassen, kurz nachher der Polizist in einer Droschke im sausenden Galopp angefahren sei, um zu erfahren, daß ich das Hotel bereits wieder verlassen. Unter dem Gelächter der Gäste habe er sich mit einem Fluch entfernt.
Später brachte ich diese Vorgänge im Reichstag zur Sprache. Damit hörte wenigstens in Frankfurt und Wiesbaden diese widerliche Art der Überwachung auf.
Aber auch im Ausland war ich vor polizeilicher Verfolgung nicht sicher. Ich pflegte von Zittau aus geschäftliche Abstecher nach Reichenberg in Böhmen zu unternehmen. Sobald ich dorthin abfuhr, meldete der sächsische Polizeiposten auf dem Zittauer Bahnhof telegraphisch die Zeit meiner Ankunft an die Reichenberger Polizei. Dort angekommen, stand bereits ein robuster Gendarm in voller militärischer Ausrüstung am Bahnhof, um mir das Geleite zu meinen Kunden zu geben. Das rief großes Aufsehen hervor. Als ich dann eines Tages nach getaner Arbeit mit einer Anzahl Parteigenossen in einem Restaurationsgarten zusammentraf und wir uns eben unterhielten, wurde ich vor den Stadtgewaltigen zitiert, der, nachdem er sich erkundigt, was mich nach Reichenberg geführt, mir den Rat gab, mit dem nächsten Zuge abzureisen, widrigenfalls er meine Ausweisung verfügen müsse. In Österreich herrschte um jene Zeit genau wie bei uns der Rotkoller; Gewaltmaßregeln schlimmster Art gegen unsere Parteigenossen waren an der Tagesordnung. Genützt haben sie nichts, so wenig wie bei uns.
Von Reichenberg reiste ich meist durch Nordböhmen weiter. Eine dieser Fahrten führte mich eines Tages schließlich nach Chemnitz. Auch dort wurde mir der übliche Empfang zuteil. Die Polizei besaß sogar die Unverfrorenheit, während meiner Abwesenheit meinen Koffer aus dem Hotel zu holen und zu öffnen, um nach Verbotenem zu forschen. Auf der Straße verlangte sogar ein Polizist, ich solle mit ihm nach der Polizei kommen, um meinen Musterkoffer durchsuchen zu lassen. Dessen weigerte ich mich, wolle er den Koffer tragen, würde ich ihm folgen. Darauf begnügte er sich damit, daß er mit mir in ein Haus trat, um sich von der Harmlosigkeit des Kofferinhalts zu überzeugen. Meine Beschwerde gegen diesen ungesetzlichen Unfug, die bis an das Ministerium ging, hatte keinen Erfolg.
Dagegen hatte ich am Nachmittag desselben Tages eine heiteres Intermezzo mit der Mittweidaer Polizei: Ich reiste hinüber, um unseren dortigen Genossen einen Besuch zu machen. Als ich auf dem Bahnhof Mittweida ankam, wurde mir ein doppelter Empfang bereitet. Es erwartete mich eine Anzahl Parteigenossen und hinter diesen stehend ein Aufgebot der Polizei mit dem Stadtoberhaupt, dem Bürgermeister Keubler, in höchsteigener Person an der Spitze. Dieser Empfang stimmte mich gleich sehr heiter. Ich machte also meinen Parteigenossen gleich den Vorschlag, statt in ein Lokal einzutreten, auf der Hauptstraße Mittweidas auf und ab zu spazieren, wobei ich ihnen allerlei erzählen wolle. Gedacht, getan. Der Spaziergang begann. Hinter uns in mäßiger Entfernung Bürgermeister und Polizei im Gefolge. In wenigen Minuten hatte sich ein großer Menschenhaufe angesammelt, aus dessen Mitte dem Bürgermeister und der Polizei allerlei humoristische Bemerkungen zugerufen wurden. Alles lachte. Voller Verlegenheit zog sich der Bürgermeister in ein Haus zurück und ließ seinen Untergebenen den Befehl zukommen, sich zu entfernen.
Als ich von Mittweida nach Chemnitz zurückgekehrt war, postierte mir die Polizei einen Doppelposten vor das Hotel, in dem ich wohnte. Ich schlief längst den Schlaf des Gerechten, als die armen Polizisten erst ihren Posten verlassen durften. Am nächsten Morgen reiste ich mit dem ersten Zuge ab. Als die Polizisten sich wieder einstellten, hörten sie, sicher mit Genugtuung, ihr Postenstehen sei überflüssig geworden. Alle diese Maßnahmen konnten nur von Behörden getroffen werden, die uns gegenüber jeder Überlegung bar waren und kein Gefühl mehr dafür besaßen, wie sie sich damit in den Augen jedes vernünftigen Menschen bloßstellten. Der Sozialistenkoller machte sie eben besinnungslos.
So auch nach meiner Ausweisung im Jahre 1881 in Leipzig. Sobald man mir allergnädigst gestattete, zwei-, höchstens dreimal im Jahre ein, zwei Tage in die Stadt zu dürfen, um mich wegen einer Geschäftsreise im Geschäft zu unterrichten, stand auch der Polizeiposten von früh bis spät vor dem Tore. Geschäftsfreunde, die uns auf dem Kontor besuchten, scherzten: wir dachten uns schon, Majestät sei wieder zugegen, seine Leibwache steht vor der Türe. Einer unserer Arbeiter, der im Zorn über diese Überwachung dem Polizisten eine beleidigende Bemerkung zurief, büßte diese mit acht Tagen Haft. Passierte ich auf der Durchreise Leipzig, so mußte ich vorher anmelden, auf welchem Bahnhof und zu welcher Stunde ich ankam und auf welchem Bahnhof und wann ich abreiste. Alsdann trat wieder die polizeiliche Überwachung in Kraft, Vorschrift war, ohne weiteren Aufenthalt von einem Bahnhof zum anderen mit dem nächsten Zug die Stadt zu verlassen. Diese Verpflichtung traf alle aus Leipzig und der Amtshauptmannschaft Leipzig Ausgewiesenen, sobald sie das Gebiet wegen einer Durchreise betraten. Gegen mich war die Leipziger Polizei besonders rigoros, wohingegen Liebknecht mancher längere Aufenhalt gestattet wurde, den man mir systematisch verweigerte. Den Grund für dieses zweierlei Maß erfuhr ich zufällig nach dem Fall des Sozialistengesetzes. Der Polizeigewaltige, Wachtmeister Döbler, hatte mich im Verdacht, von mir rührten die Leipziger Korrenspondenzen im Sozialdemokrat her, die ihm übel mitspielten und in denen von ihm immer nur als von einem Grünäugigen die Rede war. Nun rührte aber nicht eine von diesen Korrespondenzen von mir her; wäre Döbler nicht ein äußerst beschränkter Mensch gewesen, so hätte er am Stil – den er in Leipzig lange Jahre studieren konnte – sofort erkannt, wer der Attentäter war. Das Wort des Oxenstierna trifft aber immer wieder zu: „Du ahnst nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird.“
Zum Schluß dieses Kapitels, das ich noch sehr lange ausspinnen könnte, sei noch ein Vorgang erwähnt, der unter Umständen für mich einen sehr üblen Ausgang nehmen konnte. Im März 1881 reiste ich in Geschäften nach dem Osten. Ich kam dabei auch nach Posen und entschloß mich, von hier aus einen Abstecher nach der Geburtsstadt meines Vaters, Ostrowo, zu unternehmen. Nach einer Angabe meines Parteigenossen Luck, dessen Eltern dort wohnten, sollten in Ostrowo noch drei Geschwister meines Vaters leben, außerdem eine Anzahl jüngerer Verwandter. Unter den letzteren traf ich auch einen Vetter, den häufig Geschäfte nach Kalisch führten. Dieser machte mir den Vorschlag, am nächsten Tag, der ein Sonntag war, Kalisch zu besuchen. Kalisch sei Festung, habe eine starke russische Garnison, und eine russische Stadt hatte ich auch noch nicht gesehen. Es sei ihm leicht, für mich einen falschen Paß zu verschaffen. Mir schwante, die Sache könne schief gehen, denn ich merkte, ich werde auch in Ostrowo polizeilich überwacht. Ich lehnte also ab. Als ich Montag morgen zum Frühstück in die Gaststube trat, fragte mich der Wirt, ob ich den Lärm im Hotel gehört, der in der Nacht entstanden sei. Verwundert fragte ich: Weshalb? Seine Antwort war: Es sei nach zwölf Uhr von Berlin eine Depesche eingetroffen, nach der am Sonntagnachmittag der Zar Alexander II. in Petersburg von einer Bombe zerrissen wurde. Diese Nachricht habe seine Gäste sehr aufgeregt, und einige, die angetrunken gewesen, hätten behauptet, an diesem Attentat sei die deutsche Sozialdemokratie mitschuldig, und so habe man die Treppe hinaufstürmen wollen, um mich aus dem Hause zu werfen. Dieses habe er nur mit Mühe verhüten können.
Das war eine nette Mitteilung. Kurz darauf erschien auch mein Vetter und äußerte, es sei doch gut gewesen, daß wir nicht in Kalisch waren. Er habe soeben gehört, daß dort nach Eintreffen der Depesche über den Kaisermord am Nachmittag um vier Uhr sämtliche Tore geschlossen worden seien und niemand weder hinein noch heraus gedurft habe. Ich vergegenwärtigte mir, was wohl geschehen wäre, wenn ich in Kalisch erkannt wurde, wofür die deutsche Polizei jedenfalls gesorgt hätte. Fürst Bismarck hätte sicher für meine Freilassung keinen Finger gerührt, seine Polizisten würden, nach den Erfahrungen, die wir damals gemacht, sogar noch beschworen haben, meine Reise im Osten sei unter verdächtigen Umständen erfolgt, obgleich ich, außer in Königsberg und Danzig, nirgends Parteigenossen besucht hatte. Wenige Tage nach jenem Vorgang veröffentlichte denn auch die Berliner Post einen Artikel: Herr Bebel an der russischen Grenze, worin meine Reise mit dem Attentat in Verbindung gebracht wurde. Ich hatte also Ursache, mich zu freuen, daß mich meine Vorsicht von der Kalischer Reise abgehalten hatte.
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Zuletzt aktualisiert am 1.7.2008