K. Kautsky

Die Vorurtheile der Menschheit

(1881)


IAus Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, II. Jg., Zürich 1881, S. 156–157.
Transkription: Archive.org.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Lazar B. Hellenbach
Die Vorurtheile der Menschheit. III. Band
Wien, L. Rosner. 1880. IX und 377 S.

Wir haben bereits im Jahrbuch I, 2. Gelegenheit gehabt, die sonderbaren Anschauungen, welche Herr Hellenbach im ersten Bande seines Werkes niedergelegt hat, kennen zu lernen. Der zweite und dritte Band beschäftigen sich fast ausschliesslich mit spiritistischen Träumereien, uns interessirt letzterer nur insoweit, als in demselben auch die Sprache auf die Lösung der sozialen Frage kommt. Herr Hellenbach will die soziale Frage dadurch lösen, dass er die besitzenden Kinderlosen bewegt, ihr Vermögen humanen Stiftungen zu hinterlassen. Er erzählt uns nun das Missgeschick, das er mit diesem Vorschlage hatte. Niemand, auch die Freimaurer nicht, konnte sich mit demselben befreunden, ja, eine hohe Regierung verbot sogar die Bildung eines Vereins, der eine Agitation zu diesem Zweck entfalten sollte, als staatsgefährlich. Was ist an diesem Misslingen Schuld? Die Beschränktheit der Regierung, das Klasseninteresse der Bourgeoisie? Nein – nur der phänomenale Egoismus der Massen! So lange dieser nicht durch den transzendentalen Egoismus und den Glauben an eine vierte Raumdimension und an eine intelligible Welt verdrängt ist, kann die soziale Frage nicht gelöst werden! Ohne den Sieg des Spiritismus ist eine Lösung der sozialen Frage unmöglich. (pag. 324)

„Der phänomenale Egoismus ist in vielfacher Beziehung ein Gegensatz zum intelligiblen oder transzendentalen: weil Vieles, was Werth vom phänomenalen Standpunkte hat, ihn vom intelligiblen verliert, und umgekehrt; es ist daher einleuchtend, dass mit Aenderung der Anschauung und durch Ueberführung des herrschenden Motivs in den Gegensatz auch die ganze gesellschaftliche Ordnung einer Umkehrung entgegen geht.“ (pag. 333)

In der Umkehrung der Zivilisation sieht Herr Hellenbach das Ziel unserer sozialen Entwicklung, im Gegensatze zu den Rothen, welche sie blos „verrungeniren“ wollen. Diese Umkehrung ist aber nicht so leicht, als mancher glaubt.

„Allerdings kann man einen Sack leichter umwenden als einen Handschuh mit fünf Fingern, was nur successive geht; noch schwieriger muss das mit der so viel verzweigten Zivilisation sein.“ (pag. 335)

In Folge dieser überraschenden Entdeckung ist es nothwendig, alle Kräfte anzustrengen, um die Schwierigkeit zu überwinden und die Zivilisation, welche noch mehr Finger hat als ein Handschuh, umdrehen zu können.Dazu ist nichts nothwendig, als dass sich alle Anhänger des Herrn Hellenbach unter dem Namen der „Blauen“ zusammenthun. Sie sollen sich nicht fürchten, es wird ihnen nichts geschehen, denn „der leuchtende und erwärmende Lichtstrahl, welcher die ‚Blauen‘ beseelt, kommt aus der vierten Raumdimension, wohin eine, schon über die dritte Dimension nur schwer verfügende, Polizei nicht hinreicht.“ (pag. 357) An Anhängern mangelt es nicht. Herr Hellenbach berechnet, dass, wenn jeder seiner Anhänger jedes Jahr einen Proselyten macht und dies zehn Jahre lang fortsetzt, und jeder der Proselyten ebenso, so werde er in 30 Jahren mehr Menschen gewonnen haben, „als es intelligente Wesen auf der Erde gibt“ – nämlich 500 Millionen. Er vergisst hinzufügen, dass er in 32 Jahren mehr Anhänger gewonnen haben wird, als es Menschen gibt. So wird dann die Erlösung der darbenden Menschheit „im Wege der Substitution des transzendentalen Egoismus langsam und gefahrlos geschehen. Den Schwarzen die Macht über die Massen, den Rothen das Kultur zersetzende Gift zu nehmen, vermögen nur durch männliche Ruhe und Objektivität – die Blauen“ – „die Freunde der Menschheit und Fanatiker der Ruhe.“ Die Schwarzen und Rothen werden wahrscheinlich dadurch unschädlich gemacht, dass sie der von Baron Hellenbach so sehr protegirte Herr Professor Hansen hypnotisirt. Auch wir fühlten bereits den Einfluss der vierten Dimension beim Lesen des Buches, denn in Folge unseres phänomenalen Egoismus überfielen uns phänomenale Lachkrämpfe.


Zuletzt aktualisiert am 21. September 2016