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Im Oktoberheft des Russkoje Bogatstwo äußerte Herr Michailowski in einer Erwiderung an Herrn P. Struve erneut einige Gedanken über Hegels Philosophie und über den „ökonomischen“ Materialismus. |
Seinen Worten nach ist materialistische Geschichtsauffassung und ökonomischer Materialismus nicht dasselbe. Die ökonomischen Materialisten leiten alles von der Ökonomie ab.
„Wenn ich aber die Wurzel oder das Fundament nicht nur der rechtlichen und politischen Einrichtungen, der philosophischen und sonstigen Ansichten der Gesellschaft, sondern auch ihrer ökonomischen Struktur in Rassen- und Stammeseigenarten ihrer Mitglieder: im Verhältnis der Schädellänge und -breite, im Augenschnitt, in der Abmessung und Stellung der Kiefer, im Brustkorbumfang, in der Kraft der Muskeln usw.; oder anderseits in rein geographischen Faktoren: in der Insellage Englands, im Steppencharakter eines Teils Asiens, in der bergigen Natur der Schweiz, im Einfrieren der Flüsse im Norden usw., suche – ist das etwa keine materialistische Geschichtsauffassung? Es ist klar, dass der ökonomische Materialismus als Geschichtstheorie nur ein Sonderfall der materialistischen Geschichtsauffassung ist.“ [A]
Montesquieu neigte dazu, das geschichtliche Schicksal der Völker durch „rein geographische Faktoren“ zu erklären. Soweit er sich konsequent an diese Faktoren hielt, war er zweifellos Materialist. Der moderne dialektische Materialismus leugnet nicht, wie wir gesehen haben, den Einfluss des geographischen Milieus auf die Entwicklung der Gesellschaft. Er stellt nur noch klarer fest, auf welche Art die geographischen Faktoren den „vergesellschafteten Menschen“ beeinflussen.
Er zeigt, dass die geographische Umwelt den Menschen eine größere oder geringere Möglichkeit zur Entwicklung ihrer Produktivkräfte gewährleistet und sie dadurch mehr oder weniger energisch auf dem Wege ihrer historischen Bewegung vorwärts stößt. Montesquieu überlegte folgendermaßen: Ein bestimmtes geographisches Milieu bedingt bestimmte physische und psychische Eigenschaften der Menschen, diese Eigenschaften bringen aber diese oder jene gesellschaftliche Einrichtung mit sich. Der dialektische Materialismus stellt fest, dass diese Überlegung unbefriedigend ist, dass sich der Einfluss des geographischen Milieus vor allem und am stärksten im Charakter der gesellschaftlichen Beziehungen äußert, die ihrerseits die Ansichten der Menschen, ihre Gewohnheiten und selbst ihre physische Entwicklung unendlich stärker beeinflussen, als es zum Beispiel das Klima tut. Die moderne geographische Wissenschaft (wir erinnern wieder an Metschnikows Buch und an Elise Reclus’ Vorwort dazu) ist in diesem Falle durchaus der gleichen Meinung wie der dialektische Materialismus. Dieser Materialismus ist natürlich ein Sonderfall der materialistischen Geschichtsbetrachtung. Aber er kann die Geschichte vollständiger, allseitiger erklären als die übrigen „Sonderfälle“. Der dialektische Materialismus ist die höchste Entwicklung der materialistischen Geschichtsauffassung.
Holbach sagte, das historische Geschick der Völker werde manchmal für ein ganzes Jahrhundert von der Bewegung eines verirrten Atoms im Gehirn eines Staatsmannes bestimmt. Auch das war materialistische Geschichtsauffassung. Im Sinne einer Erklärung geschichtlicher Erscheinungen konnte sie jedoch nichts geben. Der moderne dialektische Materialismus ist in dieser Hinsicht unvergleichlich fruchtbarer. Er ist natürlich ein Sonderfall der materialistischen Geschichtsauffassung, jedoch gerade jener Sonderfall, der dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft einzig und allein entspricht. Die Ohnmacht des Holbachschen Materialismus zeigte sich in der Rückkehr seiner Anhänger zum Idealismus: „Die Ansichten regieren die Welt.“ Der dialektische Materialismus vertreibt heute den Idealismus aus seinen letzten Stellungen.
Herrn Michailowski scheint es, dass nur der ein konsequenter Materialist sei, der alle Erscheinungen mit Hilfe der Molekularmechanik zu erklären versucht. Der moderne, dialektische Materialismus kann keine mechanische Erklärung der Geschichte finden. Darin besteht, wenn Sie wollen, seine Schwäche. Kann aber die moderne Biologie eine mechanische Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Arten geben? Sie kann es nicht. Das ist ihre Schwäche. [1] Das Genie, von dem Laplace träumte, stünde natürlich über einer solchen Schwäche. Wir wissen aber keineswegs, wann dieses Genie erscheinen wird, und begnügen uns damit, die Erscheinungen so zu erklären, wie es der Wissenschaft unserer Zeit am besten entspricht. Das ist unser „Sonderfall“.
Der dialektische Materialismus sagt, dass nicht das Bewusstsein der Menschen ihr Sein bestimmt, sondern, im Gegenteil, ihr Sein bestimmt ihr Bewusstsein; dass man nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie einer Gesellschaft den Schlüssel zum Verstehen ihres Zustandes suchen muss. [a] Herr Michailowski macht aus diesem Anlass einige Bemerkungen; eine von ihnen lautet:
„... In den negativen Hälften (!) der Grundformel der soziologischen Materialisten ist ein Protest oder eine Reaktion nicht gegen die Philosophie überhaupt, sondern anscheinend gegen die Hegelsche enthalten. Gerade dazu gehört die ‚Erklärung des Seins aus dem Bewusstsein‘, ... die Gründer des ökonomischen Materialismus sind Hegelianer, und als solche wiederholen sie so beharrlich ihr ‚nicht aus der Philosophie‘, ‚nicht aus dem Bewusstsein‘, weil sie dem Kreis des Hegelschen Denkens nicht entkommen können und das auch nicht einmal versuchen.“ [B]
Als wir diese Zeilen lasen, dachten wir, dass sich unser Verfasser hier, dem Beispiel des Herrn Karejew folgend, an eine „Synthese“ heranmacht. Selbstredend, sagten wir uns, wird Herrn Michailowskis Synthese etwas höher stehen als die Synthese des Herrn Karejew; Herr Michailowski wird sich nicht darauf beschränken, den Gedanken des Diakons in der Erzählung G. I. Uspenskis Der Unheilbare zu wiederholen, „der Geist – das ist eine Sache für sich“, und „wie die Materie zu ihrem Nutzen verschiedene Spezies besitzt, so hat auch gleichsam der Geist solche“; aber auch Herr Michailowski wird sich einer Synthese nicht enthalten können: Hegel ist die These, der ökonomische Materialismus die Antithese und der Eklektizismus der jetzigen russischen Subjektivisten die Synthese. Wie soll man der Verführung einer solchen „Triade“ entgehen? So begannen wir uns darauf zu besinnen, welches das wahre Verhältnis der Marxschen Geschichtstheorie zur Philosophie Hegels ist.
Vor allem „bemerkten“ wir, dass bei Hegel die historische Bewegung keineswegs aus den Ansichten der Menschen, keineswegs am ihrer Philosophie erklärt wird. Aus den Ansichten, „Meinungen“ der Menschen wurde die Geschichte von den französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts erklärt. Hegel mokierte sich über diese Erklärung.: Natürlich, sagte er, die Vernunft regiert in der Geschichte; „... die Vernunft regiert die Welt ... Die Bewegung des Sonnensystems erfolgt nach unveränderlichen Gesetzen: diese Gesetze sind die Vernunft desselben, aber weder die Sonne noch die Planeten ... haben ein Bewusstsein darüber.“ [b] Die historische Entwicklung der Menschheit ist in dem Sinne vernünftig, wie sie gesetzmäßig ist, die Gesetzmäßigkeit der historischen Bewegung beweist jedoch noch keineswegs, dass man ihre letzte Erklärung in den Ansichten der Menschen, in ihren „Meinungen“ suchen muss; ganz im Gegenteil, diese Gesetzmäßigkeit zeigt, dass die Menschen ihre Geschichte unbewusst machen.
Wir erinnern uns nicht, fuhren wir fort, wie sich Hegels historische Ansichten nach „Lewes“ ergeben; dass wir sie aber nicht entstellen, muss jeder zugeben, der die berühmte Philosophie der Geschichte [2] gelesen hat. Folglich bekämpfen die Anhänger des „ökonomischen“ Materialismus keineswegs Hegel, wenn sie wiederholen, nicht die Philosophie der Menschen bestimme ihr gesellschaftliches Sein; folglich bilden sie in dieser Hinsicht keine Antithese zu ihm. Das bedeutet aber, dass Herrn Michailowskis Synthese missglücken wird, obwohl sich unser Verfasser nicht auf die Wiederholung der Gedanken des Diakons beschränkt hat.
Nach Herrn Michailowskis Ansicht hätte man nur im Deutschland der vierziger Jahre, als noch keine Rebellion gegen das Hegelsche System zu merken war, behaupten dürfen, dass die Philosophie, das heißt die Ansichten der Menschen, ihre Geschichte nicht erkläre. Wir sehen jetzt, dass sich diese Meinung bestenfalls nur auf „Lewes“ gründet.
Wie schlecht Lewes Herrn Michailowski über die Entwicklung des philosophischen Denkens in Deutschland unterrichtet hat, wird neben dem eben Dargelegten auch durch folgenden Fall bestätigt. Unser Verfasser zitiert begeistert den bekannten Brief Belinskis, in dem sich dieser „mit dem philosophischen Einfaltspinsel“ Hegel auseinandersetzt. In diesem Brief schreibt Belinski unter anderem: „... das Schicksal des Subjekts, des Individuums, der Persönlichkeit ist wichtiger als die Geschicke der ganzen Welt und die Gesundheit des Kaisers von China (das heißt der Hegelschen ‚{Allgemeinheit}‘).“ Zu diesem Brief hat Herr Michailowski viel zu bemerken, aber er „merkt“ nicht, dass die Hegelsche {Allgemeinheit} bei Belinski völlig unpassenderweise herangezogen ist. Herr Michailowski denkt offenbar, die Hegelsche {Allgemeinheit} sei das gleiche wie der Geist oder die absolute Idee, jedoch bildet die {Allgemeinheit} bei Hegel nicht einmal das Hauptmerkmal der absoluten Idee. Die {Allgemeinheit} hat bei ihm keinen ehrenvolleren Platz inne als zum Beispiel die {Besonderheit} oder die {Einzelheit}. Infolgedessen ist es auch unverständlich, warum gerade die {Allgemeinheit} als Kaiser von China angesprochen und – im Gegensatz zu ihren Schwestern – einer zuvorkommend mokanten Verbeugung gewürdigt wird. Das könnte vielleicht als Kleinigkeit erscheinen, die gegenwärtig keine Beachtung verdient, aber dem ist nicht so: Die schlecht verstandene Hegelsche {Allgemeinheit} hindert zum Beispiel Herrn Michailowski bis auf den heutigen Tag, die Geschichte der deutschen Philosophie zu verstehen – sie hindert ihn so sehr, dass ihm selbst „Lewes“ nicht aus der Patsche hilft.
Nach der Ansicht des Herrn Michailowski wurde Hegel durch die Verehrung der {Allgemeinheit} zur völligen Negation der Rechte der Persönlichkeit geführt. „Es gibt kein philosophisches System“, sagt er, „das eine derart vernichtende Verachtung und eine (derart?) kalte Grausamkeit gegenüber der Persönlichkeit zeigte, wie es bei Hegels System der Fall ist“ (S. 55). Das trifft höchstens nach „Lewes“ zu. Warum hielt Hegel die Geschichte des Ostens für die erste, niedrigste Stufe in der Entwicklung der Menschheit? Weil die Persönlichkeit im Osten nicht entwickelt war und auch bis jetzt nicht entwickelt ist. Warum sprach Hegel begeistert vom alten Griechenland, in dessen Geschichte sich der moderne Mensch endlich „zu Hause“ fühle? Weil in Griechenland die Persönlichkeit (die „{schöne Individualität}“) entwickelt war. Warum spricht Hegel mit solch einer Begeisterung über Sokrates? Warum hat er, vielleicht als erster unter den Philosophiehistorikern, selbst den Sophisten Gerechtigkeit widerfahren lassen? Etwa deshalb, weil er die Persönlichkeit außer acht ließ?
Herr Michailowski hat etwas läuten hören, weiß aber nicht, wo die Glocken hängen.
Hegel hat nicht nur die Persönlichkeit nicht außer acht gelassen, er schuf einen ganzen Heldenkult, der im Weiteren von Bruno Bauer voll und ganz übernommen wurde. Bei Hegel waren die Helden Werkzeuge des Weltgeistes und in diesem Sinne selbst unfrei. Bruno Bauer meuterte gegen den „Geist“ und befreite die „Helden“. Die Helden des „kritischen Denkens“ sind bei ihm die wahren Schöpfer der Geschichte und bilden einen Gegensatz zur „Masse“, die durch ihren Unverstand und ihre Schwerfälligkeit die Helden zwar fast bis zu Tränen reizt, schließlich aber den vom heldischen Selbstbewusstsein gebahnten Weg einschlägt. Die Gegenüberstellung von Helden und Masse (dem „Haufen“) ging von Bruno Bauer auf seine illegitimen russischen Kinder über; und jetzt haben wir das Vergnügen, sie in Herrn Michailowskis Aufsätzen zu betrachten. Herr Michailowski erinnert sich nicht mehr seiner philosophischen Verwandtschaft – das ist tadelnswert.
Somit erhielten wir unerwarteterweise Elemente für eine neue „Synthese“. Der Hegelsche Heldenkult im Dienste des Weltgeistes ist die These; der Bauersche Kult der Helden des „kritischen Denkens“, die sich nur von ihrem „Selbstbewusstsein“ leiten lassen, ist die Antithese; Marx’ Theorie schließlich, die beide Extreme versöhnt, die den Weltgeist abschafft und die Entstehung des heldischen Selbstbewusstseins aus der Entwicklung des Milieus erklärt, ist die Synthese.
Unsere zur „Synthese“ neigenden Gegner dürfen nicht vergessen, dass Marx’ Theorie keinesfalls die erste, unmittelbare Reaktion auf Hegel war, dass diese erste Reaktion, infolge ihrer Einseitigkeit oberflächlich, in Deutschland die Ansichten Feuerbachs und insbesondere Bruno Bauers waren, die von unseren Subjektivisten schon längst als Verwandte hätten erkannt werden müssen.
Mancherlei weitere Widersinnigkeit äußerte Herr Michailowski über Hegel und über Marx in seinem Artikel gegen Herrn P. Struve. Der Raum erlaubt es uns nicht, sie hier alle aufzuzählen. Wir beschränken uns darauf, unseren Lesern folgende interessante Aufgabe zu stellen:
Gegeben ist Herr Michailowski; gegeben ist seine absolute Unkenntnis Hegels; gegeben ist sein vollständiges Missverstehen Marx’; gegeben ist sein unbezwinglicher Drang, über Hegel, über Marx und über deren Beziehung zueinander zu reden – es fragt sich: Wie viel Fehler wird Herr Michailowski kraft dieses Dranges noch machen?
Es wird wohl kaum jemand gelingen, diese Aufgabe zu lösen; sie ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Es gibt nur ein Mittel, die in ihr vorhandenen Unbekannten durch bestimmte Größen zu ersetzen: Man muss die Aufsätze des Herrn Michailowski aufmerksam lesen und seine Fehler bemerken. Das ist jedoch eine langweilige und schwierige Sache, weil Herr Michailowski, wenn er nicht die schlechte Angewohnheit aufgibt, über Philosophie zu reden, ohne sich zuvor mit Leuten zu beraten, die besser beschlagen sind, stets sehr viele Fehler machen wird.
Wir wollen hier nicht Herrn Michailowskis Ausfälle gegen Herrn P. Struve behandeln. Soweit es sich um diese Ausfälle handelt, gehört Herr Michailowski von jetzt an dem Verfasser der Kritischen Notizen zur Frage der ökonomischen Entwicklung Russlands, und an fremdes Eigentum wollen wir keine Ansprüche stellen. Im Übrigen wird Herr Struve uns vielleicht entschuldigen, wenn wir uns zwei kurze „Bemerkungen“ gestatten.
Herr Michailowski hat es übel vermerkt, dass Herr P. Struve gegen ihn mit einem Fragezeichen ausgeholt hat. Er nahm es so übel, dass er sich nicht mit Hinweisen auf Fehler in Herrn Struves Sprache begnügte, sondern ihn noch als Fremdling beschimpfte und sogar den Witz über die beiden Deutschen erwähnte, von denen der eine einen Fehler im Russischen machte, der andere, ihn verbessernd, aber einen noch größeren. Aus welchem Anlass erhob nun Herr Struve die mit dem Fragezeichen bewaffnete Hand gegen Herrn Michailowski? Wegen der Worte: „Die gegenwärtige ökonomische Ordnung in Europa begann sich bereits damals herauszubilden, als die Wissenschaft, die diesen Kreis von Erscheinungen verwaltet, noch nicht existierte“ usw. Das Fragezeichen bezieht sich auf das Wort „verwaltet“. Herr Michailowski sagt: „Auf deutsch mag das vielleicht unschön klingen“ (wie gehässig: auf deutsch!), „im Russischen aber, ich versichere Ihnen, Herr Struve, ruft das bei niemand Fragen hervor und erfordert keinerlei Fragezeichen.“ Der Verfasser dieser Zeilen trägt einen rein russischen Namen und besitzt eine ebenso russische Seele wie Herr Michailowski; selbst der bösartigste Kritiker wird ihn nicht einen Deutschen zu nennen wagen, und dennoch erscheint ihm das Wort „verwaltet“ fraglich. Er fragt sich: Wenn man sagen kann, die Wissenschaft verwalte einen gewissen Kreis von Erscheinungen, kann man dann vielleicht technische Künste zu Chefs bestimmter Abteilungen befördern? Kann man zum Beispiel sagen: Die Probierkunst kommandiert die Legierungen? Unserer Ansicht nach ist das ungeschickt; es würde den Künsten ein übermäßig militärisches Gesicht verleihen, ebenso wie das Wort verwaltet der Wissenschaft ein bürokratisches Äußeres verleiht. Herr Michailowski ist also im Unrecht. Herr P. Struve hat das Fragezeichen schweigend hingenommen; es ist nicht bekannt, wie er den ungeschickten Ausdruck des Herrn Michailowski verbessert hätte. Nehmen wir sogar an, er hätte einen neuen Fehler gemacht. Eine bereits bestehende Tatsache ist es aber, dass Herrn Michailowski leider schon mehrmals Fehler unterlaufen sind. In der Hinsicht ist er wohl kaum ein Fremder!
Herr Michailowski schlägt in seinem Aufsatz einen lächerlichen Lärm um Herrn Struves Worte: „Nein, wir wollen unsere Unkultur zugeben und zum Kapitalismus in die Lehre gehen.“ Herr Michailowski will die Sache so darstellen, als bedeuteten diese Worte: „Wir wollen den Produzenten endlich dem Ausbeuter zum Opfer bringen.“ Es wird Herrn P. Struve leicht fallen, die Vergeblichkeit der Bemühungen des Herrn Michailowski nachzuweisen; das wird jetzt auch jeder sehen, der die „Kritischen Bemerkungen“ aufmerksam gelesen hat. Aber Herr Struve hat sich sehr ungeschickt ausgedrückt, wodurch er sicherlich manche Einfalt in Versuchung geführt und einige Akrobaten erfreut hat. Vorwärts die Wissenschaft, sagen wir zu Herrn Struve; die Herren Akrobaten aber wollen wir daran erinnern, dass Belinski an seinem Lebensende, als er sich von der „{Allgemeinheit}“ schon längst verabschiedet hatte, in einem seiner Briefe den Gedanken aussprach, die kulturelle Zukunft Russlands werde nur durch die Bourgeoisie gewährleistet. Bei Belinski war das ebenfalls eine sehr ungeschickte Drohung. Wodurch wurde die Ungeschicklichkeit aber hervorgerufen? Durch die edle Begeisterung des Westlers. Die gleiche Begeisterung hat, wie wir überzeugt sind, auch die Ungeschicklichkeit Struves verursacht. Aus diesem Anlass Lärm zu schlagen ist nur dem gestattet, der zum Beispiel auf die ökonomischen Argumente dieses Schriftstellers nichts entgegnen kann.
Gegen Herrn P. Struve geht auch Herr Kriwenko vor. Er hat seinen eigenen Grund, gekränkt zu sein. Er hat einen Absatz aus einem deutschen Aufsatz des Herrn P. Struve falsch übersetzt und wurde von letzterem überführt. Herr Kriwenko verteidigt sich, versucht zu beweisen, dass seine Übersetzung fast völlig richtig ist; er verteidigt sich aber vergeblich und bleibt nach wie vor schuldig, die Worte seines Gegners entstellt zu haben. Mit Herrn Kriwenko aber ist nichts anzufangen, und zwar in Anbetracht seiner großen Ähnlichkeit mit einem gewissen Vogel, von dem es heißt:
„Der Paradiesvogel Sirin |
Wenn Herr Kriwenko den „Jüngern“ Vorwürfe macht, vergisst er sich selbst. Warum lassen Sie ihn denn nicht in Rühe, Herr Struve?
A. «Русское Вогатство» [Russkoje Bogatstwo], Oktober 1894, Abt. II, S. 50.
1. Fußnote der sowjetischen Redaktion: Diese Aussage Plechanows weicht von den Hauptthesen der marxistisch-leninistischen Dialektik prinzipiell ab. Diese Aufgabe, alle Erscheinungen in Natur und Gesellschaft auf die Mechanik und auf eine mechanische Erklärung der Entstehung und Entwicklung der Arten und des historischen Prozesses zurückzuführen, hat sich der dialektische Materialismus nie gestellt. Die mechanische Bewegung ist durchaus nicht die einzige Bewegungsform. „Die Bewegung der Materie“ sagt Engels, „das ist nicht bloß die grobe mechanische Bewegung, die bloße Ortsveränderung, das ist Wärme und Licht, elektrische und magnetische Spannung, chemisches Zusammengehen und Auseinandergehen, Leben und schließlich Bewusstsein“. [c]
B. «Русское Вогатство» [Russkoje Bogatstwo], Oktober 1894, Abt. II, S. 50 bis 51.
2. Gemeint ist George Henry Lewes’ Geschichte der Philosophie.
Zuletzt aktualiziert am 20. Mai 2025