Adelheid Popp

Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz

(April 1908)


Der Kampf, Jahrgang 1 7. Heft, 1. April 1908, S. 313–317.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Wer heute im ersten Band des Kapital die Abschnitte über die Frauen- und Kinderarbeit in England um die Mitte des 19. Jahrhunderts liest und mit Schaudern und Entsetzen die Hölle zu durchwandern vermeint, atmet erleichtert auf, wenn er sich der Errungenschaften der modernen Arbeiterklasse erinnert; wenn er aus den Kämpfen der Gewerkschaften weiss, dass der gesetzliche elfstündige Arbeitstag durch die Kraft der Organisation für viele Tausende Arbeiter und Arbeiterinnen längst in den zehnstündigen und auch neunstündigen Arbeitstag umgewandelt wurde.

Man freut sich, über die furchtbarsten Verbrechen des Kapitalismus hinweg zu sein und menschlichere Daseinsbedingungen vor sich zu sehen.

Bleibt der Beobachter nicht an diesen sichtbaren Tatsachen haften, forscht er tiefer, dann wird er aber gewahr, dass noch nicht alles Lohnproletariat erlöst und von unmenschlicher, die Gesundheit vernichtender Arbeitszeit befreit ist, dass die Schrecken, welche 14-, 16- und 18-stündiger Arbeitstag bedeuten, noch lange nicht ganz beseitigt sind und dass am häufigsten die Frauen und Mädchen zu solcher Ueberarbeit verhalten werden.

Das Kapitel Frauenarbeit ist auch in den letzten Jahrzehnten mit grauenerregenden Details angefüllt, wenn sie auch nicht mehr so häufig an die entsetzlichen Schilderungen im Kapital heranreichen. Es sei hier an die Enquete über die Frauenarbeit erinnert, die im März und April 1896 in Wien veranstaltet wurde. [1]

Die dort stenographisch aufgenommenen Aussagen haben heute noch Gültigkeit. Gerade in jenen Berufen, die bei der Enquete die traurigsten Verhältnisse aufzeigten, hat sich nicht viel geändert. Die Gesetzgebung ist bis heute untätig geblieben und nicht einmal ein ernster Versuch wurde gemacht, um die schreiendsten Uebelstände zu beseitigen.

Der Vorsitzende der Enquete über Frauenarbeit, Professor v. Philippovich, sagte bei Eröffnung der Sitzung über deren Motive: »Wir haben uns keine bestimmten Ziele gesteckt, wir wollen einfach Material über die Fragen, welche die Arbeiterinnen Wiens betreffen, sammeln und sind der Meinung, dass dieses Material den gesetzgebenden Körperschaften und der Regierung Veranlassung geben wird zu einem Vorgehen, das zur Besserung der Lebensverhältnisse jener Arbeiterinnen dienen wird.« Eitle Hoffnung! Wohl waren die in Betracht kommenden Ministerien bei den Sitzungen vertreten, ihre Initiative wurde jedoch nicht im geringsten angeregt. Was die Arbeitszeit, die sanitätswidrigen Betriebseinrichtungen und die Verwendung giftiger Stoffe etc. betrifft, so hat während der zwölf Jahre die Regierung und die Gesetzgebung vollständig versagt. Die Löhne der Arbeiterinnen wurden nach den Ergebnissen der Enquete von den Herausgebern in drei Gruppen geteilt: Nichtqualifizierte Arbeiterinnen mit einem Durchschnittslohn von 4 bis 5 fl., mit 5 bis 7 fl. und die »Arbeiterinnenaristokratie« mit 8 bis 10 fl. und darüber. Die Enquete war bloss auf Wien beschränkt und konnte demnach über die Lage der übrigen Arbeiterinnen keine Ergebnisse bringen. Wien ist aber nicht der Hauptsitz der industriellen Frauenarbeit; schon die Enquete hat gezeigt, dass die grossen Fabriken immer mehr in die Provinz verlegt werden. Wie ist es dort?

Wenn in einem hochentwickelten, von einer gut organisierten Arbeiterschaft bevölkerten Industriebezirk Weberinnen 20 K in der Woche verdienen, so darf uns das nicht so blenden, dass wir darüber die viel häufiger vorkommenden Wochenlöhne von 4 und 5 K übersehen, die nur wenige Meilen entfernter viele Frauen und Mädchen bei elfstündiger Arbeitszeit verdienen.

Karl Marx sagt im Kapital: »Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahltesten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Frauen verwendet werden, ist das Sortieren der Lumpen.« [2] Auch in den Papierfabriken des 20. Jahrhunderts müssen noch junge Mädchen und schwangere Frauen Lumpen sortieren, bei einem Taglohn von K 1.20 bis K 1.60. Hören wir, wie eine Arbeiterin, die Lumpen sortiert, im Jahre 1907 ihre Arbeit beschreibt: »Die Hadern sind nicht desinfiziert, man kann sich von der Ekelhaftigkeit dieser Arbeit einen Begriff machen, wenn man bedenkt, dass Schmutz und Unrat nicht selten Zwischenlagen unter den Hadern bilden. Gestank und Moderduft strömt einem beim Betreten des Saales entgegen, allen Appetit verderbend.« Oder blicken wir auf die Steinarbeiterin: Die Frau ist Schleiferin. In kleinen niedrigen Räumen arbeiten zehn und mehr Personen. Die Staubentwicklung ist so gross, dass man die Personen nicht unterscheiden kann. Wenn die Arbeiterin Kinder hat, lässt sie sich den Stein, der zu schleifen ist, in ihre Wohnung schaffen und arbeitet in der Küche oder im Vorhaus. In dieser undurchdringlichen Staubatmosphäre sollen die kleinen Kinder heranwachsen. Sie wachsen nicht heran und wenn, so vegetieren sie als bleiche, lungensüchtige, erbarmungswürdige Geschöpfe. Bei Karl Marx hat uns auch das Los der Ziegelarbeiterin erschüttert. Wir lesen von einem 24jährigen Mädchen, das 2.000 Ziegel täglich machte, unterstützt von unerwachsenen Mädchen als Gehilfinnen. »Diese Mädchen schleppten täglich zehn Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von 30 Fuss herauf und über eine Entfernung von 210 Fuss.« Das war 1866. Die Ziegelarbeiterin von 1908 ist nicht mehr selbständige Arbeiterin, sie ist die Gehilfin des Ziegelarbeiters, sie nimmt die Stelle der unerwachsenen Gehilfinnen von 1866 ein. Ihre Last ist aber nicht kleiner geworden. Die Frau muss sich bei einem Teil ihrer Arbeit fortwährend tief zur Erde beugen, sie hat im Tag 16.000 Handgriffe und 24.000 Schritte zu machen. Statt der zehn Tonnen hat sie bei den Wiener Ziegelwerken 60.00 Kilogramm an Ort und Stelle zu bringen. Dafür bekommt sie bei einer Arbeitszeit von 6 Uhr früh bis 6 Uhr abends K 2.10 Lohn. Die englische Ziegelarbeiterin im Kapital hatte freilich noch eine Arbeitszeit von 5 Uhr oder auch 4 Uhr morgens bis 8 und 9 Uhr abends. Auch am Wienerberg war es einmal so. Noch bei der Frauenenquote 1896 gaben die Expertinnen eine Arbeitszeit von 5 Uhr früh bis 7 Uhr abends an.

Die Berichte der Gewerbeinspektoren geben, so mangelhaft sie sind, manchen Einblick, auf welch schamlose Art die Unternehmer mit der ihnen ausgelieferten menschlichen Arbeitskraft verfahren. Fast jeder einzelne Aufsichtsbeamte berichtet über die Beschäftigung von Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren, auch zur Nachtzeit.

Eine Hanfspinnerei, wo an sich die Atmosphäre wegen der grossen Staubentwicklung sehr ungesund ist, verwendete im letzten Berichtsjahre eine grosse Anzahl Frauen zur Nachtzeit.

Viel grauenhafter aber ist es in jenen Betrieben, wo die Gewerbeinspektoren noch nie hingekommen sind, wo die Unternehmer sich noch ganz sicher vor jeder Kontrolle fühlen. Frauenarbeit von 6 Uhr früh bis 12 Uhr nachts ist nicht so selten, als es den Anschein hat. Besonders beschämend ist, dass Frauen 16 und 18 Stunden selbst in solchen Betrieben arbeiten, wo für die männlichen Arbeiter eine geregelte, höchstens zehnstündige Arbeitszeit besteht. Das beweist aber am zuverlässigsten, dass alle Errungenschaften auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes nur den Arbeitern selbst zuzuschreiben sind. Die Gesetzgebung mit ihren armselig wenigen Ueberwachungsorganen und ihren lächerlich geringen Geldstrafen darf sich wahrlich nicht rühmen. Die männlichen Arbeiter haben kraft ihrer besseren Organisation günstigere Arbeitsverhältnisse, die Frauen und Mädchen, die noch sehr gering, in vielen Branchen gar nicht organisiert sind, müssen dies mit längerer Arbeitszeit und noch anderen Benachteiligungen büssen.

Ein Blick sei noch auf die Frauenarbeit in der Heimindustrie geworfen. Der Wiener Kassenarzt Dr. Ellmann hat 1907 in der Zeitschrift Concordia über die hygienischen Verhältnisse in der Wiener Zuckerwarenindustrie geschrieben. Wir wollen von den Fällen, die er anführt, nur einen herausgreifen: »Eine Heimarbeiterin bewohnt als Afterpartei mit ihrer Tochter, die an Bluthusten infolge Tuberkulose leidet, eine Kammer, zu der der Zugang durch die Küche der Mietpartei erfolgt. Das Fenster der Kammer geht auf den Gang. Die Kammer ist finster, die Dimensionen betragen 2,5 Meter zu 2,5 Meter. Das Mobiliar besteht aus einem Bett, in welchem das kranke Mädchen liegt, dicht daneben, so dass kaum ein Stuhl dazwischen Platz hat, ein nicht angestrichener Tisch aus Weichholz. Ferner ein Schrank und ein kleiner Eisenofen, auf dem gekocht wird. Alles ist sehr schmutzig, auf dem Tisch liegt ein Haufen Bonbons, die in Papier eingewickelt werden sollen. Die tuberkulöse Tochter hilft dabei mit.« Von einem anderen Fall erzählt Dr. Ellmann, wo neben dem Bett eines an Rachendiphtherie erkrankten Kindes ebenfalls Bonbons und Papier zum einwickeln liegen.

Was folgt aus diesen Darlegungen; Die Regierung sollte sich endlich ihrer Unterlassungen bewusst werden und den Ausbau des Arbeiterschutzes in Angriff nehmen. Der Arbeiterinnenschutz soll nicht den Arbeiterinnen ein Privilegium, ein Vorrecht einräumen. An ritterliche Aufmerksamkeit gegen ihr Geschlecht sind die Arbeiterinnen auch wahrhaftig nicht gewöhnt. Wie schon Genossin Emmy Freundlich in Nr. 4 ausgeführt hat, handelt es sich beim Arbeiterinnenschutz auch um den Mutterschutz, um die Bekämpfung der Kindersterblichkeit. Nicht nur um ihrer selbst willen soll die arbeitende Frau geschützt werden, sondern auch im Interesse ihrer künftigen Kinder. Wir wollen uns hier nicht auf den Wöchnerinnenschutz einlassen, dessen Notwendigkeit Genossin Freundlich dargelegt hat, sondern lediglich auf den Schutz der weiblichen Arbeitskraft an sich. Dieser muss vor allem mit der Verkürzung der Arbeitszeit einsetzen. Wir geben uns nicht der Utopie hin, dass es auch nur denkbar wäre, dass eine österreichische Regierung ein Gesetz zur Einführung des achtstündigen Arbeitstages für Frauen ausarbeiten könnte. Wir schätzen auch das Parlament, in dem Klerikale und Ghristlichsoziale sich als »stärkste Partei« rühmen, nicht als so fortgeschritten ein, um davon so Grosses zu erwarten; was wir aber von jeder Regierung und von jedem Parlament als unabweisbare Notwendigkeit verlangen, ist die endliche Herabsetzung der Arbeitszeit auf zehn Stunden für alle Arbeiter und Arbeiterinnen und die Herabsetzung auf neun, respektive acht Stunden in bestimmten Industrien. Die staatlichen Tabakarbeiterinnen sind ja nicht mehr weit von der 48-stündigen Arbeitswoche entfernt; diese Konstatierung soll keine Anerkennung für den Staat als Arbeitgeber sein. Ist die fortschreitende Verkürzung der Arbeitszeit in den Tabaktrafiken doch nicht der Einsicht des Staates, sondern der erstarkenden, zielklaren Organisation der Tabakarbeiterinnen zuzuschreiben. Was für die Tabakarbeiterinnen eine Notwendigkeit ist, ist für die Papierarbeiterin, für die Porzellanarbeiterin, für die Ziegelei- und Spinnereiarbeiterin nicht weniger dringlich. Die Gesetzgeber mögen doch einmal die Arbeiterinnen einer Spinnfabrik betrachten. Sich diese Frauen als Mütter der künftigen Generation vorzustellen, muss allein schon für die Verkürzung der Arbeitszeit werben.

Man sehe sich die Arbeiterinnen der böhmischen Schlemmwerke an und wage es dann noch, von der Erfüllung spezieller Pflichten zu reden.

Wir könnten die Beispiele ins hundertfache vermehren, jedes einzelne für sich eine Anklage. Die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit darf nicht immer wieder hinter die »Staatsnotwendigkeiten« zurückgestellt werden, sie darf auch nicht aufgeschoben werden, weil einsichtslose, kurzsichtige Unternehmer um einen Teil ihres Profits zittern. Die gesetzliche zehnstündige Arbeitszeit wird jenen zahlreichen Frauen und Mädchen zugute kommen, die samt den Arbeitern noch in stumpfer Resignation dahinleben und für unmöglich halten, dass der Ausgebeutete und Unterdrückte sich selbst helfen kann.

Die Verkürzung der Arbeitszeit muss von einer Vermehrung der Gewerbeinspektoren begleitet sein. Es muss eine regelmässige allgemeine Inspektion ermöglicht werden.

Die vielen Schäden und Missbräuche, die heute an den Arbeiterinnen begangen werden, weil sie unorganisiert sind, können auf gesetzlichem Wege nur beseitigt werden, wenn dafür gesorgt wird, dass Uebertretungen der Arbeiterschutzgesetze entdeckt und bestraft werden. Im Interesse des Arbeiterinnenschutzes muss die Gewerbeinspektion durch weibliche Aufsichtsbeamte für das ganze Reich ergänzt werden, es müssen Sachverständige aus den Kreisen derArbeiterschaft zugezogen werden. Die weiblichen Aufsichtsbeamten müssen ebenso für den Grossbetrieb wie für den Kleinbetrieb angestellt werden; die Arbeitersachverständigen sind notwendig, weil nur dadurch den Gesetzesübertretungen durch die Unternehmer Einhalt geboten werden kann. Wenn man Frauen, die selbst in Fabriken und Werkstätten gearbeitet haben, auch die theoretische Schulung für den Beruf der Gewerbeinspektorin ermöglicht, dann erst werden Missstände von so furchtbarer Art, wie sie heute noch bestehen, abgeschafft werden können. Wie viele jugendliche Arbeiter zwischen 14 und 16 Jahren arbeiten noch die ganze Nacht hindurch! Wie viele Mädchen, kaum 14 Jahre alt, arbeiten 14 und 16 Stunden in den verschiedenen Zweigen der Saisonindustrie! Da wird in dem jungen, noch nicht entwickelten Organismus schon der Keim zu den späteren Tod- und Fehlgeburten und zur Säuglingssterblichkeit gelegt. Die in jungen Jahren bei Arbeiterinnen auftretenden schweren Erkrankungen des Unterleibes nehmen hier schon ihren Anfang. Von der Tuberkulose und anderen Berufskrankheiten gar nicht zu reden.

Gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit auf zehn Stunden als Uebergangsstadium zum Neun- und dann zum Achtstundentag. Weibliche Gewerbeinspektoren, Arbeiterinnen als Sachverständige und ausnahmsloses Verbot der Frauennachtarbeit: das sind die ersten Vorbedingungen zur Durchführung eines wirksamen Arbeiterinnenschutzes. In der Schweiz steht die Einführung des Zehnstundentages für Arbeiterinnen bevor. Frankreich hat den Zehnstundentag und die Deutsche Reichsregierung hat dem Reichstag eine Vorlage, die für Arbeiterinnen den Zehnstundentag festsetzt, vorgelegt. Fabriksinspektorinnen, und zwar nicht vereinzelt, haben fast alle Länder vor uns, auch Deutschland hat 25 Fabriksinspektorinnen, Oesterreich hat eine Assistentin provisorisch – für Putzwaren und Konfektion – angestellt.

Und doch! Etwas ist geschehen! Die Regierung hat eine Vorlage zur Ein-schränkung der Frauennachtarbeit vorgelegt, nur ist es damit so wie mit der Gewerbeinspektionsassistentin: »Wasch’ mir den Pelz und mach’ ihn nicht nass.« Nur Fabriken und alle Betriebe, welche mehr als zehn Personen beschäftigen, sollen in Zukunft an der uneingeschränkten Ausbeutung der Frauen zur Nachtzeit gehindert werden. Alle Betriebe aber, wo nicht über zehn Personen arbeiten, können sich auch ferner über die schweren Schäden der Nachtarbeit für Frauen und Mädchen hinwegsetzen. Dass in kleinen Betrieben womöglich noch gesundheitswidrigere Zustände herrschen wie in den Fabriken, davon könnte man sich auch aus dem Protokoll der Enquete über die Frauenarbeit überzeugen. Da haben wir auf Seite 520 die Aussage einer Kürschnereiarbeiterin. Sie erzählt: »In der Saison haben wir um 8 Uhr angefangen und um halb 8 Uhr aufgehört; wir machten auch Ueberstunden bis 11, 12 Uhr nachts. Wir haben oft 15 Stunden ununterbrochen gearbeitet.« Vor Weihnachten ist vier Wochen lang täglich bis 11 Uhr nachts gearbeitet worden. Bemerkt muss dabei werden, dass in einem zweifenstrigen Zimmer 13 Personen arbeiteten und dass das Spannen der Felle den Dunst vermehrt, die Luft noch verschlechtert. Man stelle sich nun vor, was es heisst, in einem solchen Raum von 8 Uhr früh bis 11 Uhr nachts zu arbeiten. So ist es heute noch bei der Blumenerzeugung, beim Aufputz von Damenhüten, in den Schneidereien, bei der Weissnäherei und in vielen anderen Gewerben.

Hier muss die Gesetzgebung eingreifen! Was nützen alle Enqueten, offizielle und private, wenn daraus nicht Lehren gezogen werden? Wir haben den dicken Band über die Frauenarbeit, wir haben die Erhebungen über die Heimarbeit in stattlichen Bänden gesammelt, aber das sind nur Nachschlagebücher für Private; Regierung und Gesetzgebung gehen an ihnen vorüber.

In allen Berufen, wo die Frauenarbeit überwiegt und besonders dort, wo sie kleingewerblichen oder hausindustriellen Charakter trägt, vermag die Organisation noch nicht viel. Daher finden wir gerade dort, wo die Schutzbedürftigsten, wo die Frauen und Mädchen das Hauptkontingent stellen, die rückständigsten Arbeitsverhältnisse. Die Organisation stosst hier auf die schier unüberwindliche Schwierigkeit der vollständigen geistigen Apathie und eingewurzelten Hoffnungslosigkeit. Ueberarbeit und Erschöpfung sind die Kennzeichen dieser Proletarierinnen. Erschütternd brachte eine Expertin bei der Frauenenquete diese trostlose Stimmung der Arbeiterinnen mit den Worten zum Ausdruck: »Wenn man am Abend aus der Fabrik nach Hause kommt, so ist das so, wie wenn man ein Pferd oder einen Ochsen aus dem Pflug spannt – man legt sich hin und denkt an gar nichts.« Und das sagte eine Fabrikarbeiterin, die eine zehnstündige Arbeitszeit hat und kinderlos ist. Wie müssen sich erst jene fühlen, die 15 Stunden ununterbrochen in das Joch der Lohnarbeit gespannt sind?

Bedarf es noch mehr der Beweise, dass der Arbeiterinnenschutz eine Notwendigkeit ist? Wir verkennen nicht die Wichtigkeit, welche auch dem Arbeiterschutze zukommt, wir reden aber trotzdem vom Arbeiterinnenschutz, weil aus allem unzweifelhaft hervorgeht, dass sich die Arbeiterin noch nicht in dem Masse wie der Mann bessere Arbeitsbedingungen selbst zu erkämpfen vermag. Erhöhter Arbeiterinnenschutz, vor allem die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit und den Arbeitsschluss am Samstag mittags, werden die Arbeiterin nicht nur gesünder und widerstandsfähiger, sie werden sie auch kampffähiger machen. Die gesündere Arbeiterin wird auch gesündere Kinder gebären.

Die sozialdemokratische Frauenkonferenz, die zu Ostern in Wien tagen wird, wird ihre Aufgabe auch darin erblicken müssen, die Arbeiterinnen Oesterreichs zum Kampfe für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz aufzurufen.

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Fussnoten

1. Die Arbeits- und Lohnverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen, Wien 1897, Wiener Volksbuchhandlung.

2. Seite 428, I. Band.


Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024