MENGISTU HAILE MARIAM

Probleme der revolutionären Umgestaltungen in Äthiopien: Interview des PMAC-Vorsitzenden Mengistu Haile Mariam für DDR-Korrespondenten

1977


Written: February 25, 1977
Published: February 25, 1977
Source: Neues Deutschland, February 25, 1977, p. 6
Digitalisation: Neues Deutschland
Proof-reading: Vishnu Bachani
HTML: Vishnu Bachani


Der Vorsitzende des Provisorischen Militärverwaltungsrates (PMAC) Äthiopiens, Mengistu Haile Mariam, hat in Addis Abeba dem Afrikakorrespondenten des Fernsehens und Rundfunks der DDR, Christian Schneider, das folgende Interview gewährt:

FRAGE: Genosse Vorsitzender, wie ist die revolutionäre Entwicklung in Äthiopien zu charakterisieren?

ANTWORT: Wie Sie sicher wissen werden, ist unsere Revolution durch folgende Punkte charakterisiert: Erstens hat sie einen nationaldemokratischen Charakter Nationaldemokratisch deshalb, weil unser Kampf zur Zeit antifeudal, antiimperialistisch und antikapitalistisch ist. Dieser Kampf gegen die drei Feinde der äthiopischen Völker ist nicht nur im Interesse der Arbeiterklasse und der Bauern, sondern auch im Interesse der fortschrittlichen Kräfte des Kleinbürgertums und der nationalen Bourgeoisie. Deshalb ist es eine nationaldemokratische Revolution. Zweitens ist unsere Revolution dadurch charakterisiert, daß die fortschrittlichen Kräfte, die gegen Feudalismus, Imperialismus und Kapitalismus kämpfen, um ihre demokratischen Rechte ringen. Wir sagen, das ist neu, weil diese Revolution, die wir heute hier führen, sich von der bürgerlichen Revolution des letzten Jahrhunderts grundlegend dadurch unterscheidet, daß wir hier das Fundament zum Aufbau des Sozialismus schaffen wollen. Das ist wohl das wichtigste Merkmal der nationaldemokratischen Revolution in Äthiopien.

In den letzten zwei Jahren, während unserer nationaldemokratischen Revolution, haben die progressiven Kräfte Äthiopiens und die Volksmassen große Siege errungen. Das sind erstens: Durch den Kampf der Volksmassen haben wir die feudal-bürgerliche Klasse Äthiopiens entmachtet und die Monarchie abgeschafft. Ein wichtiger und entscheidender Erfolg ist, daß unser Kampf auf der Basis des wissenschaftlichen Sozialismus geführt wird. Ein weiterer großer Sieg der letzten beiden Jahre war für die Völker Äthiopiens, daß wir mit den alten feudalistischen Produktionsverhältnissen Schluß gemacht haben. Dazu gehört die Agrarreform für die Bauern, die Enteignung der Großgrundbesitzer, die Nationalisierung großer Betriebe, von Versicherungsinstituten, von Banken und anderen wichtigen Produktionsstätten und Unternehmen. Natürlich zählt hierzu auch die Beseitigung des Erbrechts bei Häusern und Ländereien, die früher den Großgrundbesitzern gehörten. Das sind nur einige Beispiele, einige Errungenschaften, die die äthiopischen Völker in den letzten zwei Jahren erkämpft haben. Sie sind uns Fundament und Ausgangsbasis für den Aufbau des Sozialismus in Äthiopien.

Die gegenwärtige Zeit ist eine Periode, in der wir unsere Revolution konsolidieren. Das ist deshalb eine Periode der Konsolidierung, weil wir die schon errungenen Positionen nicht verlieren, sondern die Revolution weiterführen wollen. Auf dem Lande haben sich die Bauern zu Bauernorganisationen zusammengeschlossen. In diesen Organisationen haben sie auch ihren eigenen Vorstand, ihre eigenen Volksjustizorgane, und sie haben sich auch zum Teil bewaffnet. Ein Schritt, um unsere Revolution weiter zu konsolidieren, ist die Vereinigung aller Bauern auf nationaler Ebene. Und daran arbeiten wir gegenwärtig. Was wir jetzt noch weiter ausbauen, ist die Organisierung der Arbeiterklasse in Äthiopien. Nach der Enteignung der großen Fabriken und Unternehmen haben sich die Arbeiter in drei Stufen organisiert. Erstens auf der Betriebsebene, wo sich die Arbeiter ihre eigene Führung geschaffen haben, zweitens haben sie sich organisiert nach Berufen, und drittens ist der äthiopische Gewerkschaftsbund—die All-Ethiopian Trade Union—gegründet worden.

Mit großem Erfolg ist dies alles hier geschaffen Worden, die Arbeiter nehmen am Aufbau und der Konsolidierung der Revolution mit ganzem Herzen teil.

Ich möchte noch erwähnen, daß sich auch in den Städten die unterdrückten Volksmassen in demokratisch gebildeten Stadtbewohnervereinigungen organisiert haben. Sie besitzen ihre eigenen gewählten Leitungen, ihre eigene Volksjustiz und anderes mehr. Wir sind dabei, Frauen- und Jugendorganisationen zu gründen, alle patriotischen KräDas grundsätzliche Ziel, das wir verfolgen, besteht darin, alle fortschrittlichen Kräfte und die fortschrittlichen Massenorganisationen zusammenzuführen, um eine proletarische Partei zu gründen. Die Gründung daeser proletarischen Partei wird den Aufbau der volksdemokratischen Republik Äthiopien ermöglichen. Diese Volksdemokratische Republik Äthiopien wird nach unserer Überzeugung durch die Führung der Arbeiterpartei, durch die zentrale staatliche Leitung der Ökonomie und der gesamten Verwaltung dem Aufbau des Sozialismus einen weiteren Schritt näherkommen.fte zu organisieren.

Das grundsätzliche Ziel, das wir verfolgen, besteht darin, alle fortschrittlichen Kräfte und die fortschrittlichen Massenorganisationen zusammenzuführen, um eine proletarische Partei zu gründen. Die Gründung daeser proletarischen Partei wird den Aufbau der volksdemokratischen Republik Äthiopien ermöglichen. Diese Volksdemokratischen Republik Äthiopien wird nach unserer Überzeugung durch die Führung der Arbeiterpartei, durch die zentrale staatliche Leitung der Ökonomie und der gesamten Verwaltung dem Aufbau des Sozialismus einen weiteren Schritt näherkommen.

FRAGE: In Ihrer jüngsten Rede haben Sie gesagt, wir haben uns von der defensiven auf eine offensive Position begeben. Darf ich Sie bitten, das zu erläutern, und wie würden Sie die gegenwärtige Situation in Äthiopien beschreiben?

ANTWORT: Wenn wir sagen, daß unsere Revolution von der defensiven zu einer offensiven Position übergegangen ist, dann stimmt dies eigentlich nicht ganz. Denn natürlich war 1974, der Beginn der Revolution, bereits die Offensive.

In den letzten Monaten gab es einige Elemente innerhalb des Militärrates, die natürlich Mitglieder verschiedener konterrevolutionärer Organisationen waren, wie z. B. der EDU, einer Organisation der Aristokratie, der ELF, einer von den arabischen reaktionären Regierungen unterstützten separatistischen Gruppe. Diese hatten mit Hilfe von Kräften innerhalb des Provisorischen Militärverwaltungsrates in den letzten Monaten versucht, den Prozeß der revolutionären Umgestaltung aufzuhalten und zurückzudrängen und hatten auch viele unserer Genossen auf der Straße erschossen. Dabei hatten sie die Unterstützung der imperialistischen Kräfte. Nun, diese Kräfte innerhalb des Provisorischen Militärverwaltungsrates hatten in der letzten Zeit versucht, unsere fortschrittliche Entwicklung stark zu behindern.

Nach der Eliminierung dieser reaktionären Kräfte innerhalb des PMAC ist es für uns möglich geworden, die Bevölkerung weiter für die Ideen der Revolution zu begeistern, die Revolution fortzuführen, die Einheit des Landes weiterhin zu schützen, damit die Völker Äthiopiens Freude und Frieden in diesem Lände haben und ihr eigenes Glück aufbauen können. Wenn wir sagen, daß wir von der defensiven zur offensiven Position übergehen, dann heißt das für uns die Bewaffnung der unterdrückten Volksmassen und die Organisierung des bewaffneten Kampfes gegen die Feinde der Revolution.

Wir sind sicher, so wird es uns möglich sein, den entscheidenden Sieg über alle reaktionären Kräfte zu erringen.

FRAGE: In welcher Weise bemühen sich die fortschrittlichen Kräfte um die Teilnahme der Massen an den verschiedenen Gebieten der Staatsmacht?

ANTWORT: Die äthiopischen fortschrittlichen Kräfte und die unterdrückten Völker Äthiopiens können ihres Sieges erst gewiß sein, wenn sie sich organisieren und wenn sie bewaffnet sind. Dazu ist auch der ideologische Kampf notwendig, die Auseinandersetzung mit den Reaktionären.

So wird es möglich sein, in Äthiopien eine wirkliche Volksmacht zu errichten. Wie wir das schon im Programm der nationaldemokratischen Revolution zum Ausdruck gebracht haben, wird der Provisorische Militärverwaltungsrat allen fortschrittlichen Kräften in diesem Lande moralische und materielle Unterstützung geben. Der Militärrat steht an der Seite aller fortschrittlichen Kräfte in ihrem Kampf, und das ist auch der Kampf gegen Feudalismus, Imperialismus und Kapitalismus. Wir unterstützen alle Kräfte hier in diesem Lande, die gegen diese drei Feinde kämpfen.

Wir haben auch eine provisorische Organisation der Massen aufgebaut, die von den fortschrittlichen Kräften getragen wird, die bereits in der Periode der Herrschaft Haile Selassies gekämpft haben. Diese Organisation arbeitet jetzt bereits im ganzen Lande, angefangen von der Hauptstadt Addis Abeba bis in die einzelnen Provinzen und Distrikte. So arbeiten die Massenorganisationen, und wir hoffen, daß diese Arbeit dem Volk die stärkere Teilnahme an der Revolution ermöglicht. Wir haben damit in der letzten Zeit große Erfolge errungen. Diese Organisationen vereinen das Volk gegen die Hauptfeinde Äthiopiens—Feudalismus, Imperialismus, Kapitalismus—und tragen schließlich auch dazu bei, daß hier eine proletarische Partei aufgebaut wird. Nur durch den Aufbau dieser proletarischem Partei wird es möglich sein, die volksdemokratische Republik Äthiopien zu errichten. Die marxistisch-leninistischen Organisationen, die heute in diesem Lande existieren, arbeiten mit dem Ziel, alle fortschrittlichen Kräfte zu formieren. Sie sollen zu einer revolutionären Einheitsfront der verschiedenen marxistisch-leninistischen Organisationen und Gruppierungen führen. Wir glauben, daß die verstärkte Arbeit der Gruppen unter den Massen, die wir als PMAC mit ganzen Kräften unterstützen, schließlich eine solche Vereinigung schafft, die sich als marxistisch-leninistische Partei organisieren kann. Dadurch und durch die Teilnahme der Volksmassen wird es möglich sein, die Macht an sie zu übertragen. Der Provisorische Militärverwaltungsrat und das ganze Militär sind dabei, diese Kräfte materiell und moralisch zu unterstützen. Sobald eine Situation geschaffen ist, die wirklich die Einheit der Massen und die Organisierung der Massen sicherstellt, wird das Volk die Macht übernehmen können.

FRAGE: Welcher Linie folgen Sie in der Außenpolitik?

ANTWORT: Wie im Nationaldemokratischen Programm ausgedrückt, verfolgen wir auf außenpolitischem Gebiet die fünf bekannten Prinzipien: Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung, Neutralität, die Respektierung der Souveränität und der territorialen Integrität des Landes. Wir sind natürlich auch für Beziehungen auf der Basis völliger Gleichberechtigung.

Das neue Äthiopien kämpft mit allen fortschrittlichen Kräften in der ganzen Welt gegen Imperialismus, Kolonialismus, Neokolonialismus und Rassismus. Und wir stehen zusammen Hand in Hand mit allen fortschrittlichen Kräften Afrikas, Lateinamerikas, Asiens und insbesondere mit den Kräften der nationalen Befreiungsbewegungen, die noch um die Freiheit ihrer Länder kämpfen. Wir stehen alle zusammen, und wir unterstützen sie moralisch und materiell, soweit es uns möglich und solange es notwendig ist.

FRAGE: Genosse Vorsitzender, Sie haben persönlich große Verdienste bei der Durchsetzung der historischen Veränderungen der Gesellschaft in Äthiopien. In diesem Prozeß haben die DDR und die anderen sozialistischen Länder die revolutionären äthiopischen Kräfte von Anfang an unterstützt. Möchten Sie vielleicht in diesem Zusammenhang einige Worte an das Volk der DDR richten?

ANTWORT: Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um meinen herzlichen Dank gegenüber allen sozialistischen Ländern und gegenüber dem Volk der DDR zum Ausdruck zu bringen. Unser Volk weiß um die große Unterstützung und Hilfe auf politischem und ökonomischem Gebiet, die uns das Volk der DDR und die Partei der Arbeiterklasse gegeben haben und geben. Seit Beginn unserer Revolution erhalten wir aktive Unterstützung. Wir sind der Meinung, daß die Solidarität zwischen unseren beiden Ländern auf ökonomischem und politischem Gebiet sehr erfolgreich ist.

Die große internationale Unterstützung, die wir von allen sozialistischen Ländern bekommen, hat uns in unserem Kampf sehr bestärkt. Die fortschrittlichen Kräfte Äthiopiens, der PMAC, die Arbeiter und die Bauern haben mit großer Deutlichkeit in den letzten Jahren die große Solidarität gesehen, die die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands und das Volk der DDR geleistet haben. Die ehrliche und große Freundschaft, die zwischen unseren beiden Ländern besteht, und insbesondere die Besuche von Genossen Werner Lamberz und von Genossen Oskar Fischer haben unsere Freundschaft weiter vertieft. Für uns ist das auch ein großer Schritt bei der Festigung der Beziehungen zwischen dem äthiopischen Volk und dem Volk der DDR.